Ägypten

Arabische Republik Ägypten

Berichtszeitraum 1.1.2024 – 31.12.2024
Englischer Originaltext Egypt
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Die Behörden gingen weiterhin hart gegen Kritik vor, unterdrückten die Zivilgesellschaft und schränkten Straßenproteste ein. Die Behörden nahmen Massenverhaftungen vor, um geplante regierungsfeindliche Proteste zu verhindern, und lösten die wenigen kleinen, friedlichen Proteste gewaltsam auf, die stattfanden. Die Behörden ließen 934 Gefangene frei, die aus politischen Gründen inhaftiert waren, verhafteten jedoch weitere 1.594. Zu den Verhafteten gehörten Journalist*innen, Rechtsanwält*innen, Demonstrant*innen, Dissident*innen, Oppositionspolitiker*innen und Personen, die die Menschenrechtslage und den Umgang der Regierung mit der Wirtschaftskrise kritisierten. Dutzende von Personen ließ man verschwinden. Folter und andere Misshandlungen waren weiterhin an der Tagesordnung. Nach grob unfairen Gerichtsverfahren wurden Todesurteile verhängt, auch für andere Verbrechen als “vorsätzliche Tötung”. Hinrichtungen wurden vollstreckt. Schwere Menschenrechtsverletzungen, die im Jahr 2024 und in den Vorjahren begangen wurden, blieben straflos. Frauen und Mädchen, religiöse Minderheiten und lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) erlitten Diskriminierung, Gewalt und Strafverfolgung, weil sie ihre Menschenrechte ausübten. Die Behörden versäumten es, die wirtschaftlichen und sozialen Rechte in der Wirtschaftskrise zu schützen, die sozialen Sicherungsmaßnahmen angemessen anzupassen oder dafür zu sorgen, dass private Unternehmen die Mindestlohnvorschriften einhielten. Die Regierung führte neue Gesetze ein, die einen erschwinglichen Zugang zur Gesundheitsversorgung erschwerten. Die Zwangsräumungen in informellen Siedlungen wurden fortgesetzt. Tausende von Geflüchteten und Asylbewerber*innen, vor allem aus dem Sudan, wurden willkürlich inhaftiert und ausgewiesen.

Hintergrund

Im April wurde Abdel Fattah al-Sisi für eine dritte Amtszeit als Präsident vereidigt, nachdem er Wahlen gewonnen hatte, von denen echte Gegner*innen ausgeschlossen waren.

Der Nationale Dialog zwischen der Regierung und der Opposition wurde im Februar wieder aufgenommen, nachdem er im September 2023 ausgesetzt worden war. Kritiker*innen beklagen das Fehlen greifbarer Ergebnisse und die Tatsache, dass keine der empfohlenen politischen und Menschenrechtsreformen umgesetzt wurde.

Inmitten der sich verschärfenden Wirtschafts- und Finanzkrise Ägyptens sagten der Internationale Währungsfonds, die EU, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) rund 57 Mrd. US-Dollar an Investitionen, Darlehen und Finanzhilfen zu. Im März kündigte die EU ein Finanzierungspaket in Höhe von 7,4 Mrd. EUR (8 Mrd. USD) für Ägypten an, das jedoch nicht an Menschenrechtskriterien geknüpft war. Im September stellten die USA 1,3 Mrd. USD an Hilfe bereit und verzichteten dabei auf Menschenrechtsauflagen. Die Krise bei den Lebenshaltungskosten hielt an, die jährliche Inflationsrate betrug im September 24,9 %.

Der Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen blieb seit Mai geschlossen, nachdem israelische Streitkräfte die Kontrolle über die palästinensische Seite der Grenze übernommen hatten und ein ägyptischer Soldat bei einer grenzüberschreitenden Schießerei getötet worden war.

Freiheit auf Meinungs, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Die Behörden kriminalisierten weiterhin abweichende Meinungen und friedliche Versammlungen und nahmen dabei Journalist*innen, Anwält*innen, Demonstrierende, Dissident*innen, Oppositionspolitiker*innen und Personen ins Visier, die die Menschenrechtslage und den Umgang der Regierung mit der Wirtschaftskrise kritisierten.

Zwischen Januar und März verhafteten die Sicherheitskräfte willkürlich mindestens vier Personen, die sich in Kommentaren in den sozialen Medien über Preiserhöhungen beschwert hatten. [1]

Am 31. Juli verhafteten die Behörden willkürlich den Oppositionspolitiker Yehia Hussein Abdelhady, wegen eines Facebook-Beitrags, in dem er den Präsidenten und die Armee kritisierte und zum Regimewechsel aufrief. [2] Er blieb bis zum Jahresende willkürlich inhaftiert, weil ihm Terrorismus und die Veröffentlichung “falscher Nachrichten” vorgeworfen wurden.

Die Frauenrechtlerin und Journalistin Rasha Azab, die die Reaktion der ägyptischen Regierung auf die israelische Offensive im Gazastreifen lautstark kritisiert hatte, wurde nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten am 7. Oktober 2023 wiederholt bedroht und schikaniert. Unter anderem wurde sie mehrmals von einer Gruppe von drei nicht identifizierten Männern verfolgt und erhielt über Mittelspersonen Warnungen, dass die Sicherheitsbehörden sie verhaften würden.

Mindestens 14 Medienschaffende blieben im Zusammenhang mit ihrer Arbeit inhaftiert, unter anderem wegen der Veröffentlichung regierungskritischer Inhalte. Zu ihnen gehörten Ashraf Omar, der im Juli verhaftet wurde, nachdem er eine Karikatur veröffentlicht hatte, die den Plan der Regierung zum Verkauf von Staatsvermögen kritisierte, und Khaled Mamdouh, ein Journalist der Nachrichtenwebsite Arabic Post. Beide waren weiterhin willkürlich inhaftiert unter dem Vorwurf des Terrorismus und der Verbreitung “falscher Nachrichten”.

Mindestens 562 Menschenrechts-, Nachrichten- und andere Websites wurden nach Angaben der Vereinigung für Gedanken- und Meinungsfreiheit, einer unabhängigen Menschenrechtsgruppe, von den Behörden weiterhin blockiert.

Die Behörden nahmen im Vorfeld geplanter regierungsfeindlicher Proteste Verhaftungen vor, um deren Zustandekommen zu verhindern, und lösten die wenigen kleinen, friedlichen Proteste, die stattfanden, gewaltsam auf. Im März lösten Sicherheitskräfte eine kleine Demonstration in Alexandria gewaltsam auf und nahmen willkürlich Demonstrierende fest, die Schilder hochhielten, auf denen Präsident al-Sisi beschuldigt wurde, die Armen “auszuhungern”.

Im Juli verhafteten die Behörden willkürlich Dutzende von Männern, mindestens sieben Frauen und ein Kind im Zusammenhang mit Online-Aufrufen zu Protesten und zur Ablösung der Regierung von Präsident al-Sisi aufgrund von Preiserhöhungen. Dutzende blieben in Haft, weil sie ihre Solidarität mit den Palästinenser*innen im Gazastreifen durch friedliche Proteste, Online-Kommentare, das Aufhängen von Schildern oder das Schreiben von Slogans an Wände zum Ausdruck gebracht hatten.

Am 20. März gaben die Behörden nach 13 Jahren Ermittlungen die Einstellung des Falles 173/2011 bekannt, der weithin als Fall der “ausländischen Finanzierung” bekannt ist und das Einfrieren von Vermögenswerten und Reiseverbote für NGO-Mitarbeiter*innen beinhaltet hatte. Das Reiseverbot gegen die Menschenrechtsanwältin Hoda Abdelwahab blieb jedoch in Kraft.

Willkürliche Inhaftierung und unfaire Gerichtsverfahren

Zwischen Januar und Oktober ließen die Behörden mindestens 934 Personen frei, die aus politischen Gründen inhaftiert waren, zumeist nach Ablauf der Höchstdauer von zwei Jahren für die Untersuchungshaft. Im gleichen Zeitraum verhafteten die Behörden nach Angaben der Ägyptischen Kommission für Rechte und Freiheiten, einer unabhängigen NGO, 1.594 Personen, darunter fünf Kinder, aus politischen Gründen. Staatsanwält*innen und Richter*innen der Obersten Staatssicherheitsbehörde (SSSP) erneuerten routinemäßig die Anordnungen von Untersuchungshaft für Tausende von Gefangenen, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung effektiv anzufechten.

Im Februar verurteilte ein Gericht den Politiker Ahmed Al Tantawy, seinen Wahlkampfleiter und 21 seiner Unterstützer*innen im Zusammenhang mit seiner gescheiterten Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2023 zu einem Jahr Haft. Im Mai wurde das Urteil in der Berufung bestätigt, und im Dezember wurde es vom Kassationsgerichtshof bestätigt.

Am 26. Juni verurteilte das Strafgericht für Staatssicherheit den Demonstranten Mahmoud Hussein zu drei Jahren Haft, weil er ein T-Shirt mit einem Aufdruck gegen Folter trug. [3] Er wurde im Oktober freigelassen, nachdem er bereits zwei Jahre und zehn Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte.

Im August begannen die parlamentarischen Beratungen über den Entwurf einer Strafprozessordnung, die keinerlei Schutzmaßnahmen gegen den Missbrauch einer längeren Untersuchungshaft vorsieht und schwere Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahrenmi angemessener Verteidigung ermöglicht. [4]

Im September endete die ungerechtfertigte fünfjährige Haftstrafe des prominenten Aktivisten Alaa Abdel Fattah, aber die Behörden ließen ihn nicht frei. [5]

Im Dezember verurteilte ein Militärgericht 62 Einwohner*innen des Gouvernements Nordsinai wegen Beschädigung von Militärfahrzeugen und Gewaltanwendung gegen Beamte zu Haftstrafen zwischen drei und zehn Jahren. Der Prozess folgte auf einen Sitzstreik von Bewohner*innen der Stadt Sheikh Zuwayed im Oktober 2023, der vom Militär gewaltsam aufgelöst worden war. Die Bewohner*innen forderten die Rückkehr in ihre Häuser, aus denen sie von den Behörden gewaltsam vertrieben worden waren. Am 24. Dezember begnadigte Präsident El-Sisi 54 von ihnen.

Verschwindenlassen, Folter und andere Misshandlungen

Die Sicherheitskräfte, darunter auch die Nationale Sicherheitsbehörde (NSA), ließen Dutzende von Personen, die aus politischen Gründen festgehalten wurden, für einen Zeitraum von einigen Tagen bis zu mehreren Wochen verschwinden.

Folter und andere Misshandlungen waren in Gefängnissen, Polizeistationen und von der NSA betriebenen Einrichtungen weiterhin an der Tagesordnung. Im Februar schlugen NSA-Beamte einen Mann und versetzten ihm Elektroschocks, während sie ihn acht Tage lang verschwinden ließen. Er war wegen der Veröffentlichung regierungskritischer Videos festgenommen worden.

Gefangene wurden weiterhin unter Bedingungen festgehalten, die gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen verstoßen, unter anderem durch die vorsätzliche Verweigerung von medizinischer Versorgung und lange Einzelhaft. Im Badr-1-Gefängnis und im 10. Ramadan-Gefängnis begannen Dutzende von Gefangenen Anfang Juni einen Hungerstreik, um gegen ihre grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen, den fehlenden Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung, die Einschränkung der Zeit außerhalb ihrer Zelle, und die Beschränkung von Familienbesuchen zu protestieren. Die Gefängnisbehörden zwangen viele zur Beendigung des Streiks, indem sie streikende Gefangene in andere Einrichtungen verlegten und andere in Einzelhaft sperrten.

Todesstrafe

Strafgerichte, einschließlich derjenigen, die Fälle im Zusammenhang mit Terrorismus behandeln, verhängten Todesurteile nach unfairen Verfahren. Zu den Straftaten, die mit der Todesstrafe geahndet wurden, gehörten Verbrechen, die keine “vorsätzliche Tötung” darstellten, wie Drogenhandel und Vergewaltigung, was einen Verstoß gegen internationales Recht und internationale Standards darstellt. Exekutionen wurden vollstreckt.

Straffreiheit

Straffreiheit herrschte für rechtswidrige Tötungen, Folter, Verschwindenlassen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die im Jahr 2024 und in den Vorjahren begangen wurden. Dazu zählte auch die rechtswidrige Tötung von mindestens 900 Menschen, als Sitzstreiks der Anhängerschaft des gestürzten Präsidenten Mohamed Morsi am 14. August 2013 gewaltsam aufgelöst wurden.

Die Behörden unterließen es, die Ursachen und Umstände von mindestens 43 Todesfällen in der Haft angemessen zu untersuchen, nachdem Berichte über körperliche Folter und andere Misshandlungen oder die Verweigerung der medizinischen Versorgung öffentlich geworden waren. Es wurden keine Ermittlungen zum Tod von Ibrahim al-Ajeery am 1. Januar im Gefängnis Badr 3 eingeleitet, nachdem er jahrelang medizinisch vernachlässigt worden war und ihm u. a. angemessene Diabetes-Medikamente verweigert wurden.

Die Staatsanwälte, insbesondere die Staatsanwälte der SSSP, wiesen die meisten Beschwerden über polizeiliche Folter zurück oder ignorierten sie. In einem seltenen Fall, der Amnesty International bekannt ist, leitete ein regulärer Staatsanwalt eine Untersuchung zu der Beschwerde einer Demonstrantin ein, die angab, von einem Polizeibeamten geschlagen worden zu sein. Jedoch wurden bis zum Jahresende keine Informationen über den Fortgang der Untersuchung bekannt gegeben.

Am 23. Mai berichtete eine Gruppe von Frauen, die bei einer Pro-Palästina-Demonstration verhaftet worden waren, dass sie bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet hätten, weil einige von ihnen bei Leibesvisitationen sexuell angegriffen und während der Haft belästigt worden seien. Die Staatsanwaltschaft leitete die Beschwerde an den SSSP weiter, der jedoch keine Ermittlungen einleitete.

Wirtschaftliche und soziale Rechte

Die wirtschaftlichen und sozialen Rechte, einschließlich des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard und auf Gesundheit, wurden durch die Wirtschaftskrise stark beeinträchtigt. Die Regierung versäumte, die verfassungsmäßig vorgeschriebenen Mittel in Höhe von mindestens 3 % des BIP für das Gesundheitswesen und 6 % des BIP für das Bildungswesen bereitzustellen.

Die wiederholten Erhöhungen der Kraftstoffpreise wirkten sich auf die Preise für Lebensmittel und wichtige Dienstleistungen aus. Im Juni vervierfachten die Behörden den subventionierten Preis für Brot. Die Regierung versäumte, die Auswirkungen der Inflation auf die in Armut lebenden Menschen angemessen abzumildern, da die Ausgaben für soziale Schutzmaßnahmen nur 0,2 % des BIP ausmachen.

Im September kündigte die Regierung das Ende der täglichen Stromabschaltungen an, die seit Juli 2023 galten.

Im Juni ratifizierte Präsident al-Sisi ein neues Gesetz zur Privatisierung des Gesundheitswesens, das die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Gesundheitsdiensten gefährdet, insbesondere für Menschen, die nicht krankenversichert sind und/oder in Armut leben. [6]

Rechte der Arbeitnehmer*innen

Im Februar hob Präsident al-Sisi den monatlichen Mindestlohn für Beschäftigte im öffentlichen Dienst von 4.000 EGP (rund 82,50 USD) auf 6.000 EGP (rund 125 USD) an. Im April erhöhte die Regierung auch den Mindestlohn für Beschäftigte in der Privatwirtschaft auf 6.000 EGP, ergriff jedoch keine Maßnahmen gegen Unternehmen, die den Mindestlohn unterschritten.

Im Februar verhafteten NSA-Agenten zwei Beschäftigte von Ghazl al-Mahalla, einem Unternehmen des öffentlichen Sektors, nachdem sie Dutzende Beschäftigte wegen eines Streiks zur Einforderung des Mindestlohns verhört hatten. Sie wurden im Mai vorläufig freigelassen, während die SSSP Ermittlungen wegen “Beitritts zu einer terroristischen Vereinigung” und der Veröffentlichung “falscher Nachrichten” durchführte.

Am 17. August organisierten die Beschäftigten eines anderen öffentlichen Unternehmens, Samanoud Weaving and Textile, einen Streik, um den Mindestlohn zu fordern. Am 25. August verhafteten die Behörden fünf Männer und vier Frauen und ermittelten gegen sie unter anderem wegen “Anstiftung zur vorsätzlichen Blockierung eines Produktionsmittels”. Nach Angaben der Ägyptischen Initiative für persönliche Rechte (EIPR), einer unabhängigen NGO, kamen sie nach zwei Wochen wieder frei.

Um den anhaltenden Lehrermangel zu beheben, kündigte das Bildungsministerium im September an, 50.000 Lehrkräfte mit befristeten Stundenverträgen einzustellen, deren monatlicher Verdienst deutlich unter dem Mindestlohn liegen würde.

Im April begann der Staatsrat, das ägyptische Verwaltungsgericht, mit der Prüfung von Beschwerden, die von der EIPR im Namen von Lehrer*innen eingereicht wurden, die aus diskriminierenden Gründen wie Schwangerschaft oder Übergewicht von der Einstellung in öffentliche Schulen ausgeschlossen worden waren.

Recht auf Wohnen

Im Februar begannen die Behörden ohne vorherige Konsultationen mit den Bewohner*innen und ohne Entschädigungsangebote mit Zwangsräumungen und dem Abriss von Häusern im Viertel El-Gameel in Port Said, in dem rund 2.500 Haushalte leben. Die Regierung rechtfertigte die Abrisse mit Plänen zur Entwicklung der Region. Ein Mann kam bei den Abrissarbeiten ums Leben, aber die Behörden versäumten es, eine unparteiische und unabhängige Untersuchung der Ursachen und Umstände seines Todes durchzuführen.

Im Juli kündigte die Regierung eine Partnerschaft zwischen emiratischen und lokalen Investoren an, um ein Immobilienprojekt auf der Nilinsel Warraq zu entwickeln. Am 26. September feuerte die Polizei Gummigeschosse und Tränengas ab, um einen Protest von Anwohner*innen aufzulösen, die über polizeiliche Übergriffe berichtet hatten. Nach Angaben von Mada Masr, einem unabhängigen Medienunternehmen, wurden mindestens sieben Bewohner*innen verletzt. Im Oktober forderten die Bewohner*innen der Insel öffentlich eine angemessene Entschädigung. Die Sicherheitskräfte riegelten die Insel ab und hinderten die Bewohner*innen daran, Baumaterialien für den Bau neuer Häuser oder die Erweiterung bestehender Häuser herbeizuschaffen. Die Behörden hatten die einzige Gesundheitseinrichtung der Insel seit 2021 geschlossen gehalten und damit den Zugang der Bewohner*innen zur medizinischen Versorgung eingeschränkt.

Im Februar unterzeichneten die VAE und Ägypten ein 35-Milliarden-Dollar-Abkommen zur Erschließung der rund 16 430 Hektar großen Fläche von Ras al-Hekma, einem Dorf an der ägyptischen Mittelmeerküste. Die Bewohner*innen ignorierten die Aufforderung der Regierung, ihre Häuser zu räumen, da sie die von der Regierung angebotene Entschädigung für unzureichend hielten. Die Behörden verhängten eine Nachrichtensperre zu diesem Thema. Am 10. März verhafteten die Behörden die Mada Masr-Journalistin Rana Mamdouh, als sie unterwegs war, um über die Situation in Ras al-Hekma zu berichten. Sie wurde noch am selben Tag gegen Kaution freigelassen, nachdem die SSSP sie zu Vorwürfen befragt hatte, sie habe die Einwohner zum Terrorismus angestiftet. Im April kursierten in den sozialen Medien Videos, die Scharmützel zwischen Bewohner*innen und Sicherheitskräften zeigten. Diese hatten versucht, in Häuser einzudringen, um eine Bestandsaufnahme der Besitztümer der Bewohner*innen vorzunehmen. Am 16. Dezember gab Premierminister Moustafa Madbouly bekannt, dass die Regierung 5,5 Mrd. EGP (ca. 108.154 Mio. USD) an die Menschen gezahlt habe, die ihre Häuser räumen mussten. Er gab nicht an, ob dieser Betrag alle Betroffenen umfasst.

Diskriminierung

Frauen

Frauen wurden in Gesetz und Praxis weiterhin diskriminiert, unter anderem hinsichtlich Heirat, Scheidung, Sorgerecht und politischen Ämtern. Die seit langem versprochenen Änderungen des Personenstandsgesetzes sind ins Stocken geraten, da es an einer sinnvollen Konsultation der Menschenrechtsverteidigerinnen mangelt.

Im Oktober erließ die Generalbehörde für Pässe, Einwanderung und Staatsangehörigkeit diskriminierende Richtlinien, wonach Frauen aus “unteren Schichten” eine Genehmigung der Behörde einholen müssen, wenn sie nach Saudi-Arabien reisen wollen. Nach Angaben der EIPR wurde in den Mitteilungen des Innenministeriums an die Reisebüros darauf hingewiesen, dass zu den “Unterschichten” auch Hausfrauen, arbeitslose Frauen und Frauen mit gering qualifizierten Tätigkeiten gehören.

Mindestens vier Frauen wurden willkürlich verhaftet und wegen der Veröffentlichung von Inhalten auf TikTok unter vage formulierten moralischen Anklagen verfolgt.

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans und intergeschlechtliche Menschen (LGTBI+)

Die Behörden belästigten und verfolgten weiterhin Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität.

Recht auf eine gesunde Umwelt

In seinem zweiten NDC (Bericht zum national festgelegten Beitrag zum Klimaschutz), der im Juni 2023 veröffentlicht wurde, verpflichtete sich Ägypten, die Kohlenstoffemissionen zu reduzieren. Das Land verpflichtete sich, dafür zu sorgen, dass 42 % seines Stroms bis 2030 aus erneuerbaren Energiequellen stammen würden. Die Regierung vergab jedoch weiterhin neue Lizenzen für die Gasexploration, was die Bemühungen um die Dekarbonisierung des Landes gefährden könnte.

Religions- und Glaubensfreiheit

Das Recht, Kirchen zu bauen oder zu reparieren, blieb durch ein Gesetz aus dem Jahr 2016 eingeschränkt. Es schreibt eine Genehmigung der Sicherheitsbehörden und anderer staatlicher Stellen vor. Im Oktober sagte ein Regierungssprecher, die Regierung habe die Legalisierung von 3.453 Kirchen von den 5.540 Anträgen, die seit Inkrafttreten des Gesetzes eingereicht worden waren, genehmigt.

Im April gelang es den Sicherheitskräften nicht, die koptischen Christen in zwei Dörfern im Gouvernement al-Minya vor sektiererischen Angriffen zu schützen. Die Angriffe erfolgten nach Berichten über die Einrichtung von christlichen Gebetsstätten in den beiden Dörfern. Dabei marschierten muslimische Einwohner*innen auf, skandierten antichristliche Parolen und beschädigten die Häuser koptischer Christen.

Im Juli verurteilte ein Militärgericht einen koptischen christlichen Wehrdienstleistenden zu drei Jahren Gefängnis, weil er einem Moslem elektronische Nachrichten geschickt hatte, die als “beleidigend für den Islam” angesehen wurden, so die EIPR (Ägyptische Initiative für persönliche Rechte).

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Ägyptische Sicherheitskräfte, darunter auch von der EU finanzierte Grenzschutzbeamte, führten Massenverhaftungen Tausender sudanesischer Flüchtlinge durch, die illegal nach Ägypten eingereist waren oder sich dort aufgehalten hatten. Die Sicherheitskräfte hielten die Geflüchteten unter erbärmlichen Bedingungen fest, bevor sie sie gewaltsam in den Sudan zurückschickten, ohne ihnen den Zugang zu Asylverfahren zu ermöglichen (siehe Eintrag Sudan). Die Behörden verhafteten auch weiterhin Asylbewerber*innen und Flüchtlinge aus anderen Ländern, darunter Eritrea, wegen ihres Migrationsstatus.

Im September verlängerte die Regierung die Frist um ein Jahr, innerhalb derer alle ausländischen Staatsangehörigen ihren Status durch einen ägyptischen Bürgen und die Zahlung von 1.000 USD regeln müssen.

Am 16. Dezember ratifizierte Präsident al-Sisi das erste ägyptische Asylgesetz. Es verbietet Zurückweisungen an der Grenze nicht, sieht keine ordnungsgemäßen Verfahrensgarantien vor und lässt die willkürliche Inhaftierung von Flüchtlingen und Asylbewerber*innen zu.

[1] “Egypt: Halt crackdown on people voicing concerns over economic crisis“, 13. Mai

[2] Egypt: Politician detained over social media posts: Yehia Hussein Abdelhady “, 9. August

[3] Egypt: Three-year prison sentence for anti-torture protester a ‘travesty of justice “, 27. Juni

[4] Egypt: Reject draft Criminal Procedure Code “, 2. Oktober

[5] Egypt: Ensure Alaa Abdel Fattah is not detained after completing length of unjust prison term “, 26. September

[6] Egypt: New law threatens to reduce access to healthcare for millions “, 30. Juli

17. Juni 2025