Republik Armenien
Berichtszeitraum | 1.1.2024 – 31.12.2024 |
Englischer Originaltext | Armenien |
Weitere Online-Dokumente von Amnesty International Deutschland | Armenien |
Die Regierung bemühte sich um die Integration von mehr als 100.000 Geflüchteten aus Berg-Karabach. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung wurde mehrfach beschnitten, und Journalist*innen und Umweltschützer*innen wurden bedroht und schikaniert. Durch die Änderung des Gesetzes über häusliche Gewalt wurde der Schutz für Überlebende verbessert. Die Diskriminierung von lesbische, schwule, bisexuelle, trans und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) hielt an.
Hintergrund
Inmitten einer angespannten Sicherheitslage, die durch Zusammenstöße in der aserbaidschanischen Region Berg-Karabach und entlang der armenisch-aserbaidschanischen Grenze gekennzeichnet war, wurden die Verhandlungen zum Abschluss eines Friedensabkommens mit Aserbaidschan fortgesetzt. Die Spannungen blieben auch bei zentralen Fragen wie den territorialen Korridoren und dem Status von Berg-Karabach hoch.
Die Regierung baute die politischen Beziehungen zur EU und zu den USA weiter aus und kündigte gleichzeitig an, die von Russland geführte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (Collective Security Treaty Organization, CSTO) zu verlassen.
Die Spannungen mit Aserbaidschan nach dem gewaltsamen Konflikt schürten weiterhin innenpolitische Unruhen. Im April und Mai kam es zu massiven Protesten, nachdem ein Abkommen mit Aserbaidschan beschlossen wurde, durch das vier Dörfer in der Region Tawusch auf aserbaidschanischer Seite der Grenze verblieben. Die Demonstrierenden blockierten Straßen, forderten Premierminister Nikol Pashinyan zum Rücktritt auf und kritisierten seinen Umgang mit dem Konflikt mit Aserbaidschan im Jahr 2022, sowie den Wechsel der politischen Allianzen seiner Regierung.
Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen
Die Regierung hatte weiterhin Schwierigkeiten bei der Integration von mehr als 100 000 Geflüchteten, die nach der Übernahme der Kontrolle durch Aserbaidschan im September 2023 aus Berg-Karabach geflohen waren. Für viele Geflüchtete waren Unterkunft, Beschäftigung und Bildung nach wie vor besonders schwierig. Ihr Recht auf eine sichere und würdige Rückkehr blieb unerfüllt.
Freiheit der friedlichen Versammlung
Während der Proteste im April und Mai, bei denen der Premierminister zum Rücktritt aufgefordert wurde, ging die Polizei mehrfach mit unrechtmäßiger Gewalt gegen Demonstrierende vor.
Am 12. Juni kam es im Zentrum der Hauptstadt Eriwan zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstrierenden bei Protesten gegen das Abkommen über die Grenzziehung. Dabei wurden etwa 101 Personen verletzt, darunter 17 Polizeibeamt*innen, und 98 Personen wurden Berichten zufolge festgenommen. Mindestens 15 Personen wurden später wegen Rowdytums und Störung der öffentlichen Ordnung angeklagt. Nach einer Untersuchung der Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens wurden keine Polizeibeamt*innen angeklagt oder verurteilt.[1]
Freiheit der Meinungsäußerung
Die Proteste im April und Mai wurden von Berichten über zunehmenden Druck und Schikanen gegen Journalist*innen, einschließlich Beleidigungen und Drohungen, begleitet. Das armenische Komitee zum Schutz der Meinungsfreiheit berichtete, dass 14 Journalist*innen und Medienmitarbeiter*innen bei der Berichterstattung über die Proteste verletzt wurden, sowohl durch gezielte Angriffe als auch durch das Gedränge in der Menge. Einige Journalist*innen wurden geschubst und zu Boden gestoßen, während andere berichteten, dass sie von Polizeibeamt*innen geschlagen und verletzt wurden.
Am 22. März verhafteten die Behörden die Podcast-Moderatoren und politischen Oppositionellen Vazgen Sagatelyan und Narek Samsonyan wegen Rowdytums und nahmen sie für zwei Monate in Gewahrsam. Den beiden Männern wurde vorgeworfen, in der Mediensendung AntiFake obszöne Äußerungen gegen den Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan und andere Vertreter*innen der Regierungspartei gemacht zu haben. Ihr Prozess begann am 23. September. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu fünf Jahre Haftstrafe.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Die Goldmine Amulsar erhielt im Januar die Genehmigung zur Wiederaufnahme des Betriebs, ohne dass die Umweltprobleme im Zusammenhang mit der Wasser- und Bodenverschmutzung, die in den vergangenen Jahren zu Protesten geführt hatten, vollständig gelöst wurden. Umweltschützer*innen sahen sich mit Klagen konfrontiert, die sie zum Schweigen bringen sollten, und waren Ziel von Verleumdungskampagnen in den Medien. Dabei wurde ihnen unter anderem vorgeworfen, dass ihr Aktivismus die nationale Sicherheit gefährde. Die Angriffe folgten auf ihre gemeinsame Erklärung vom Dezember 2023, in der sie ihre Besorgnis über die Umweltauswirkungen des umstrittenen Bergbauprojekts Amulsar äußerten.
Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt
Am 12. April nahm das Parlament Änderungen am Gesetz über häusliche Gewalt an, die den Schutz der Überlebenden verstärken und die frühere Betonung der “Wiederherstellung der familiären Harmonie” aufheben, die die Opfer möglicherweise unter Druck setzen könnte, in missbräuchlichen Beziehungen zu bleiben. Mit den Änderungen wurde die Definition von häuslicher Gewalt auf körperliche, sexuelle, psychologische Gewalt und wirtschaftlichen Missbrauch erweitert. Mit den Änderungen wurden auch neue Straftatbestände eingeführt, darunter erzwungene medizinische Eingriffe, die Einschränkung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung, “Jungfräulichkeitstests” und Stalking.
Rechte von LGBTI-Personen
Stigmatisierung und Diskriminierung von LGBTI-Personen hielten an. Im Juni berichteten Mitarbeiter*innen des Büros der Ombudsperson, dass sie Drohungen, Belästigungen und Beschimpfungen ausgesetzt waren, insbesondere wegen ihrer Arbeit mit LGBTI-Personen.
[1] “Armenia: Violence during street protests must be investigated”, 13 June