Aserbaidschan

Republik Aserbaidschan

Berichtszeitraum 1.1.2024 – 31.12.2024
Englischer Originaltext Aserbaidschan
Weitere Online-Dokumente von Amnesty International Deutschland Aserbaidschan

Im Berichtsjahr nahm die Einhaltung der Menschenrechte stark ab und die Behörden unterbanden weiterhin eine unabhängige Kontrolle. Frühere Rechtsverletzungen im Konflikt um die umstrittene Region Berg-Karabach blieben straflos. Unabhängige Nichtregierungsorganisationen und die Medien waren weiterhin willkürlichen Einschränkungen ausgesetzt. Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen wurden wegen rechtmäßiger Aktivitäten verhaftet. Friedliche Proteste wurden unterdrückt. Folter und andere Misshandlungen waren weiterhin weit verbreitet. Lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen (LGBTI+) Personen wurde Gerechtigkeit verweigert.

Hintergrund

Im November war Aserbaidschan Gastgeberland der COP29, während es Vorwürfe gab, dass leitende Beamte des Konferenzteams die Gelegenheit nutzten, um neue Geschäfte mit fossilen Brennstoffen zu vermitteln. Das Gastlandabkommen wurde nie veröffentlicht. Eine durchgesickerte Version ließ jedoch einen Mangel an echtem Schutz der Menschenrechte erkennen.

Die Behörden widersetzten sich Bemühungen um eine Kontrolle und verweigerten die Zusammenarbeit mit internationalen zwischenstaatlichen Gremien und zivilgesellschaftlichen Organisationen, einschließlich solcher, die sich mit Menschenrechtsmechanismen befassen. Im Januar drohte die Regierung mit einem Austritt aus dem Europarat und der Europäischen Menschenrechtskonvention, nachdem die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE) die Akkreditierung Aserbaidschans aufgrund mangelnder Kooperation und einer sich verschlechternden Menschenrechtsbilanz ausgesetzt hatte. Die Behörden schränkten außerdem die Beobachtung der vorgezogenen Präsidentschaftswahl im Februar ein. Beobachter*innen kritisierten, dass es an echtem Wettbewerb mangelte. Der Amtsinhaber gewann die Wahl.

Die Friedensverhandlungen mit Armenien kamen voran, nachdem Aserbaidschan sich im August bereiterklärte, seine Forderung nach einem „Zangezur-Korridor“ durch armenisches Staatsgebiet zu seiner Exklave Nachitschewan aufzugeben. Seine neuen Forderungen an Armenien, Verweise auf die Einheit mit Berg-Karabach aus der Verfassung zu streichen, sowie die anhaltenden Streitigkeiten über den Grenzverlauf erschwerten jedoch weiter die Bemühungen um eine Lösung.

Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht

Im Konflikt um die umstrittene Region Bergkarabach blieben Verstöße straffrei. Als die PACE am 24. Januar die Mitgliedschaft Aserbaidschans suspendierte, wiederholte sie auch ihre Besorgnis darüber, dass Aserbaidschan die schwerwiegenden humanitären und menschenrechtlichen Folgen der Zugangsbeschränkung Armeniens nach Bergkarabach durch den Latschin-Korridor nicht anerkennt. PACE verurteilte auch erneut die Militäroperation Aserbaidschans vom September 2023, die zur Vertreibung der gesamten ethnischen armenischen Bevölkerung Berg-Karabachs, d.h. von mehr als 100.000 Menschen, nach Armenien führte. Ihr Recht auf eine sichere und würdige Rückkehr blieb unerfüllt.

Meinungs- und Vereinigungsfreiheit

Unabhängige NGOs und Medien waren weiterhin willkürlichen Einschränkungen ausgesetzt, darunter der Verweigerung der Registrierung und belastenden Berichtspflichten.[1] Der Mediensektor blieb unter wirkungsvoller staatlicher Kontrolle, was zu einer weit verbreiteten Selbstzensur führte. Der Präsidentschaftswahl und der COP29 gingen neue Verhaftungswellen unabhängiger Journalist*innen und anderer Regierungskritiker*innen voraus.  Im April wurde der Menschenrechtsverteidiger Anar Mammadli, Träger des PACE-Menschenrechtspreises 2014, verhaftet und unter dem konstruierten Vorwurf des Schmuggels in Untersuchungshaft genommen. Seine Verhaftung erfolgte kurz nachdem sein Zentrum für Wahlbeobachtung und Demokratiestudien eine Einschätzung zur Durchführung der Präsidentschaftswahlen im Februar veröffentlicht und er gemeinsam mit anderen Menschenrechtsaktivist*innen im Vorfeld der COP29 eine Koalition für Klimagerechtigkeit angekündigt hatte.

Mehr als ein Dutzend Journalist*innen befanden sich nach ihrer Festnahme im Jahr 2023 weiterhin in willkürlicher Haft. Die Behörden verlängerten zudem die Untersuchungshaft von mindestens elf Journalist*innen der wenigen verbliebenen unabhängigen Informationsmedien Aserbaidschans und beschuldigten sie fälschlicherweise des Devisenschmuggels im Zusammenhang mit angeblicher Finanzierung durch westliche Geldgeber.

Am 6. März führte die Polizei eine Razzia bei einem der letzten verbliebenen unabhängigen Nachrichtensender Toplum TV, seiner Partnerorganisation, dem Institut für demokratische Initiativen (IDI), und der Plattform für die Dritte Republik, einer Oppositionsgruppe, durch. Sie nahmen Journalist*innen und Aktivist*innen fest, darunter den Gründer von Toplum TV Alasgar Mammadli, den Journalisten Mushfig Jabbar, die Vorstandsmitglieder der Dritten Republik Akif Gurbanov und Ruslan Izzetli sowie die IDI-Aktivisten Ramil Babayev und Ali Zeynalov, alle aufgrund konstruierter Anschuldigungen. Die unabhängigen Journalisten Imran Aliyev und Farid Mehralizade, die am 18. April bzw. am 29. Mai verhaftet worden waren, blieben ebenfalls unter der falschen Anschuldigung des Devisenschmuggels inhaftiert.

Zwischen August und November erhob die Staatsanwaltschaft neue konstruierte Anklagen wegen illegaler Geschäftstätigkeit, Geldwäsche und Steuerhinterziehung gegen Journalist*innen des investigativen Senders Abzas Media, die seit November 2023 willkürlich in Haft gehalten wurden. Dem Direktor und seinem Stellvertreter Ulvi Hasanli und Mahammad Kekalov, der Chefredakteurin Sevinj Vagifgizi und den Journalist*innen Nargiz Absalamova, Elnara Gasimova und Hafiz Babali drohen im Falle einer Verurteilung zwischen acht und zwölf Jahren Haft.

Im Juli und August wurden die Wissenschaftler Igbal Abilov und Bahruz Samadov unter konstruierten Anklagen des Hochverrats festgenommen. Sie befanden sich weiterhin in Untersuchungshaft. Der Kontakt zu ihren Familien wurde ihnen verwehrt.

Versammlungsfreiheit

Die Versammlungsfreiheit blieb stark und ungerechtfertigt eingeschränkt, und die Behörden verhafteten weiterhin Personen, die an friedlichen Protesten teilnahmen.

Im April wurde der Gewerkschaftsaktivist Aykhan Israfilov wegen konstruierter Drogenvorwürfe zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er sich im August 2023 an friedlichen Protesten von Kurier*innen beteiligt hatte.

Zwei Aktivisten, die 2023 Umweltproteste in dem Dorf Söyüdlü im Bezirk Gadabay unterstützt hatten, wurden ebenfalls wegen falscher Anschuldigungen im Zusammenhang mit Drogen verurteilt (siehe unten). Joshgun Musayev, der während des Protests Plakate gedruckt hatte, wurde im August verhaftet und zu drei Jahren Haft verurteilt. Der ehemalige Parlamentsabgeordnete Nazim Baydamirli wurde, kurz nachdem er die Proteste öffentlich unterstützt hatte, im Oktober verhaftet und zu acht Jahren Haft verurteilt.

Folter und anderweitige Misshandlung

Folter und andere Misshandlungen sowie Straffreiheit für die Täter sind nach wie vor weit verbreitet. Am 3. Juli verurteilte das Komitee zur Verhütung von Folter des Europarats in einem außergewöhnlichen Schritt öffentlich die anhaltende Weigerung Aserbaidschans, zu kooperieren und seit langem bestehende Probleme anzugehen, darunter weitverbreitete körperliche Misshandlungen und manchmal auch Folter durch die Polizei. Es forderte die aserbaidschanischen Behörden auf, die „unheilige Allianz“ von der Anwendung körperlicher Misshandlungen und Folter durch die Polizei und der allgegenwärtigen Praxis von Drohungen, dem Unterschieben von Beweisen, erzwungenen Geständnissen und Erpressung zu beenden.

Am 24. Juli veröffentlichte Ulvi Hasanli (siehe oben) einen Brief, in dem er über Folter und andere Misshandlungen wie etwa das systematische Schlagen von Gefangenen, in der Haftanstalt, in der er festgehalten wurde, berichtete.

Inhaftierten Regierungskritiker*innen wurde weiterhin die erforderliche medizinische Versorgung verweigert, was zu einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands führte, so etwa Anar Mammadli, Alasgar Mammadli, Ruslan Izzetli, Aziz Orujov, Fazil Gasimov und Famil Khalilov. Am 22. April wurde der Wirtschaftswissenschaftler Gubad Ibadoghlu nach 274 Tage Untersuchungshaft wegen der Verschlechterung seines Gesundheitszustands in den Hausarrest verlegt. Gegen ihn wird weiterhin aufgrund falscher Anschuldigungen ermittelt, und es wurde ihm untersagt, Aserbaidschan zu verlassen, um sich medizinisch behandeln zu lassen.

Rechte von LGBTI+

Am 19. April stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Fall A. gegen Aserbaidschan und 23 damit zusammenhängende Verfahren ein. Er stützte sich dabei auf eine einseitige Erklärung Aserbaidschans, in der anerkannt wurde, dass die Rechte der Kläger*innen verletzt worden waren, und sich zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet wurde. Die Kläger*innen hatten unter anderem vorgetragen, dass sie als LGBTI-Personen Diskriminierung, willkürlichen Verhaftungen, Misshandlungen und erzwungenen medizinischen Untersuchungen ausgesetzt gewesen seien. Die Entscheidung des Gerichts, die von Aktivist*innen als Verweigerung von Gerechtigkeit kritisiert wurde, ging nicht auf die Vorwürfe ein, weil die Behörden es versäumt hatten, gründlich zu ermitteln und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Im Jahr 2019 hatten die Kläger*innen dem Gericht mitgeteilt, dass sie mit den Bedingungen der einseitigen Erklärung der aserbaidschanischen Regierung, auf der die Entscheidung beruhte, nicht einverstanden waren.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Am 5. August genehmigte die Regierung die Wiederaufnahme des Betriebs einer Goldmine in Söyüdlü, einschließlich der Erweiterung eines Teichs, der Giftmüll enthält. Der Betrieb war nach Umweltprotesten im Jahr 2023 für ein Jahr ausgesetzt worden, weil Bedenken wegen der unsachgemäßen Lagerung von Giftmüll während der Arbeit im Bergwerk bestanden. Ortsansässige und Umweltaktivist*innen machten geltend, dass der Müll ernsthafte Gesundheitsprobleme verursachte und die umliegenden landwirtschaftlichen Flächen verschmutzte. Die Proteste wurden von den Behörden brutal unterdrückt.

[1] Azerbaijan: Update: The Human Rights Situation in Azerbaijan ahead of COP29, 1. November 2024

17. Juni 2025