Bulgarien

Republik Bulgarien

Berichtszeitraum 1.1.2024 – 31.12.2024
Englischer Originaltext Bulgaria
Weitere Online-Dokumente von Amnesty International Deutschland Bulgarien

Unabhängige Journalist*innen und Medien wehrten sich gegen zahlreiche Verleumdungsklagen. Das Parlament führte Änderungen ein, die “LGBTI-Propaganda” in Schulen verbieten, lehnte jedoch andere Änderungen ab, die die Rechte lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher Menschen (LGBTI+) weiter untergraben hätten. Einwanderungsfeindliche Angriffe nahmen zu. Einem saudischen Aktivisten drohte die Abschiebung. Die psychiatrische Versorgung war weiterhin von systematischen Versäumnissen geprägt. Maßnahmen zur Stärkung des Schutzes von Opfern häuslicher Gewalt standen noch aus.

Hintergrund

Im Oktober gingen die Bulgar*innen zum siebten Mal innerhalb von drei Jahren zu den Wahlen. Aufgrund der anhaltenden politischen Instabilität ist das Amt der Ombudsperson seit April unbesetzt.

Eine intensive Hitzewelle führte zu Waldbränden und Wasserknappheit.

Freiheit der Meinungsäußerung

Unabhängige Journalist*innen und Medien, die über organisierte Kriminalität und Korruption berichten, erlebten strategischen Klagen gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit.

Im Januar wies das Stadtgericht von Sofia die Verleumdungsklage einer Versicherungsgesellschaft gegen das E-Magazin Mediapool ab, die wegen eines Artikels über das Green-Card-System in Bulgarien eine Schadensersatzsumme von 1 Mio. BGN (ca. 500 000 EUR) gefordert hatte, was bisher noch nie vorgekommen war. Der Chefredakteur von Mediapool nannte das Urteil, das nicht rechtskräftig ist, einen “wichtigen Sieg” für die Medienfreiheit.

Im April reichte Innenminister Kalin Stoyanov eine Verleumdungsklage gegen das Bureau for Investigative Reporting and Data ein, weil das Büro über angebliche Korruption im Ministerium berichtet hatte. Media Freedom Rapid Response erklärte, die Klage sei darauf ausgerichtet, “legitime investigative Berichterstattung zum Schweigen zu bringen”.

In einem bahnbrechenden Urteil vom Juni stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass Bulgarien das Recht des Journalisten Rosen Bossev auf ein faires Verfahren und auf freie Meinungsäußerung verletzt hat, der 2019 in einem Strafverfahren der Verleumdung für schuldig befunden worden war. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass seine Verurteilung nicht durch ein “unparteiisches Gericht” erfolgte und gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstieß.

Vereinigungsfreiheit

Im September wurde das sogenannte Gesetz über ausländische Agenten, das zum vierten Mal von der pro-russischen Partei Revival eingebracht wurde, in einem Parlamentsausschuss abgelehnt. Der Gesetzentwurf würde es aus dem Ausland finanzierten Organisationen verbieten, in Bildungseinrichtungen und in einigen Ministerien tätig zu werden.

Einer NGO aus Stara Zagora wurde die kommunale Finanzierung verweigert, nachdem ihr Gründer die Grenzpolizei für die schlechte Behandlung von Migrant*innen kritisiert hatte.

Rechte von LGBTI-Personen

Im Juli erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Fall von Y.T. gegen Bulgarien, einem Transmann, dem die rechtliche Anerkennung seiner Geschlechtsidentität verweigert wurde, rückwirkend für unzulässig. Das Gericht forderte Bulgarien nachdrücklich auf, einen transparenten und zugänglichen Rahmen für die rechtliche Anerkennung des Geschlechts einzurichten.

Im August verabschiedete das Parlament in einem Dringlichkeitsverfahren Änderungen am Gesetz über die Vorschul- und Schulbildung, die die Bereitstellung von Informationen über “nicht-traditionelle sexuelle Orientierung” und “vom biologischen Geschlecht abweichende Geschlechtsidentität” in Schulen verbieten. Menschenrechtsorganisationen sprachen sich entschieden gegen das Gesetz aus und bezeichneten es als einen direkten Angriff auf die Grundfreiheiten der LGBTI-Gemeinschaft.[1] Der Vorsitzende von Revival, der Partei, die die Änderungen initiiert hatte, drohte damit, Strafanzeige gegen Lehrer zu erstatten, die “homosexuelle Propaganda verbreiten wollen”.

Im September lehnte das Parlament Änderungen des Kinderschutzgesetzes ab, mit denen die geschlechtsangleichende  Gesundheitsversorgung von Minderjährigen unter Strafe gestellt und drakonische Geldstrafen für Angehörige der Gesundheitsberufe, die diese Leistungen erbringen, eingeführt worden wären. [2]

Laut einer Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte berichteten 72 % der LGBTI-Personen in Bulgarien, dass sie in der Schule aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität schikaniert wurden.

ILGA-Europe, eine Nichtregierungsorganisation für LGBTI-Rechte, stufte Bulgarien als das drittschlechteste Land in der EU in Bezug auf den Schutz von LGBTI-Rechten im Jahr 2024 ein.

Diskriminierung

Die Rom*nja werden weiterhin in allen Lebensbereichen diskriminiert. Im Juli entschied das Oberste Verwaltungsgericht, dass es sich bei den romafeindlichen Äußerungen des ehemalige Vorsitzende der Partei der bulgarischen Nationalen Bewegung, Krasimir Karakachanov, aus dem Jahr 2019, um diskriminierende Belästigung handelt, die zu weit verbreiteter romafeindlicher Gewalt führten.

Vor dem Hintergrund der Desinformation und der feindseligen Rhetorik von Politiker*innen im Vorfeld der Wahlen des Europäischen Parlaments im April kam es zu einer Zunahme fremdenfeindlicher Vorfälle, einschließlich physischer Angriffe auf Asylsuchende und ausländische Staatsangehörige.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Obwohl die Zahl der Menschen, die über die so genannte Balkanroute nach Westeuropa reisen, zurückging, kam es an der bulgarischen Grenze zur Türkei weiterhin zu Pushbacks und Gewalt.

Einem saudischen Aktivisten, Abdulrahman al-Khalidi, der auf eine endgültige Entscheidung im Asylverfahren in Bulgarien wartete, drohte die Abschiebung nach Saudi-Arabien. Obwohl ein Gericht seine Freilassung anordnete, blieb er in Verwaltungshaft im Busmantsi-Gefängnis in der Nähe von Sofia und erhielt keine angemessene medizinische und psychosoziale Unterstützung. Menschenrechtsorganisationen warnten, dass ihm im Falle einer Abschiebung Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen würden.[3]

Rechte von Menschen mit Behinderungen

Im Januar stellte das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) fest, dass Patient*innen in psychiatrischen Einrichtungen weiterhin keine angemessene psychosoziale Betreuung erhielten, was eine Vernachlässigung und schädlich für die Patient*innen sei. Das CPT kritisierte das Gesundheitsministerium, weil es die anhaltende Misshandlung von Patient*innen nicht verhindert und bestraft hatte.

Im April berichteten Menschenrechtsorganisationen über weit verbreitete Misshandlungen von Menschen mit Behinderungen. Dazu gehörten Folter und andere Misshandlungen, finanzieller und verbaler Missbrauch und die Vernachlässigung und Isolation in Einrichtungen, darunter auch in  kleinen Gruppenheimen.

Im August starb ein*e 57-jährige*r Patient*in bei einem Brand in einem psychiatrischen Krankenhaus in Varna. Eine Untersuchung des Büros des Ombudsmanns ergab, dass der Patient zu diesem Zeitpunkt ruhiggestellt und ohne Aufsicht gelassen war, während der Krankenhauskomplex selbst stark unterbesetzt war und nur ein*e Ärzt*in im Dienst war.

Geschlechtsspezifische Gewalt

Im März forderte Gemeinsam gegen Gewalt,  ein Zusammenschluss von 37 Menschenrechtsorganisationen, die Behörden auf, die Änderungen des Gesetzes über häusliche Gewalt aus dem Jahr 2023 dringend umzusetzen und unter anderem die Risikobewertungsverfahren und die Koordinierung zwischen den Institutionen zu verbessern.

Der Nationale Rat zur Verhütung von und zum Schutz vor häuslicher Gewalt nahm offiziell seine Arbeit auf. Im September verabschiedete die Regierung das Programm zur Prävention von und zum Schutz vor häuslicher Gewalt 2024-2026, das Maßnahmen zur Stärkung von Bildungs- und Präventionsprogrammen und zur Unterstützung der Opfer häuslicher Gewalt vorsieht.

Frauenrechtsorganisationen berichteten, dass im Jahr 2024 mindestens 18 Frauen durch häusliche Gewalt starben.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Trotz einer früheren Zusage, den Ausstieg aus der Kohleverstromung zu beschleunigen, verschob das Parlament im April eine Abstimmung über den Fahrplan zur Klimaneutralität. Proteste von Kohle- und Kraftwerksbeschäftigten, die den Verlust von Arbeitsplätzen befürchteten, verlangsamten den grünen Wandel in Bulgarien.

Das Ministerium für Umwelt und Wasser verheimlichte der Öffentlichkeit, dass das Luftqualitätsüberwachungssystem in Sofia die Schadstoffwerte nicht korrekt meldete.

Bulgarien fiel im Klimaschutz-Index von Platz 36 auf Platz 46 zurück.

[1] Bulgaria: Ban of ‘LGBTI propaganda’ in schools is attack on the entire LGBTI community”, 8 August

[2] Bulgaria: Rejection of attempts to criminalise gender-affirming healthcare a welcome block against rising tide of hate”, 27 September

[3] Bulgaria should not deport Saudi activist Abdulrahman al-Khalidi and should immediately release him”, 12 March

17. Juni 2025