Republik Haiti
Berichtszeitraum | 1.1.2024 – 31.12.2024 |
Englischer Originaltext | Haiti |
Weitere Online-Dokumente von Amnesty International Deutschland | Haiti |
Die Ernährungsunsicherheit erreichte ein alarmierendes Ausmaß, das Gesundheitssystem brach zusammen und die Schulen mussten wegen der Gewalt geschlossen werden. Hunderttausende von Menschen flohen aus ihren Häusern und waren als Vertriebene gefährdet. Kriminelle Banden verübten weiterhin Übergriffe auch gegen Kinder. Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nahm zu. Es herrschte Straflosigkeit und das Justizsystem hatte Mühe zu funktionieren. Die USA und die Dominikanische Republik versäumten es, Haitianer*innen, die aus dem Land flohen, internationalen Schutz zu gewähren und schickten sie weiterhin gewaltsam zurück.
Hintergrund
Politische Instabilität und Gewalt schwächten die staatlichen Institutionen weiter und verschärften die Mängel in der Grundversorgung. Es kam zu verschiedenen Gewaltausbrüchen, darunter auch zu Massakern, die zu einer verstärkten Binnenvertreibung und der vorübergehenden Schließung des Flughafens von Port-au-Prince führten. Mehrere bewaffnete Banden wurden stärker und kontrollierten wichtige Teile des Landes einschließlich strategischer Infrastruktur wie Häfen und Flughäfen und setzten die Bevölkerung allgemeiner Gewalt und Menschenrechtsverletzungen aus. 1
Im März trat Ariel Henry nach intensivem Druck von seinem Amt als Premierminister zurück. Im April wurde ein präsidialer Übergangsrat aus verschiedenen politischen Kräften gebildet. Im November entließ der Übergangsrat den im Juni ernannten Premierminister und ernannte Alix Didier Fils-Aimé zum neuen Premierminister.
Im Juni trafen die ersten Soldat*innen der von der kenianischen Polizei geführten multinationalen Sicherheitsunterstützungsmission, die vom UN-Sicherheitsrat für 2023 genehmigt wurde, in Haiti ein. Im September verlängerte der UN-Sicherheitsrat die Mission um ein weiteres Jahr. Zum Jahresende waren mehr als 500 Soldaten von den Bahamas, Belize, Jamaika und Kenia in Haiti stationiert.
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Nahezu die Hälfte der Bevölkerung benötigte humanitäre Hilfe und das Ausmaß der Ernährungsunsicherheit und Unterernährung war alarmierend. Nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen vom September waren 2 Millionen Menschen von extremer Nahrungsmittelknappheit, akuter Unterernährung und einem hohen Maß an Krankheiten betroffen. Das Gesundheitssystem stand vor großen Herausforderungen, die es fast zusamenbrechen ließen. Viele Krankenhäuser und Gesundheitszentren wurden mutwillig zerstört und ausgeraubt. In der Hauptstadt Port-au-Prince waren nach Angaben eines UN-Experten nur 37 % der Gesundheitseinrichtungen voll funktionsfähig und der Zugang war aufgrund von Sicherheitsproblemen schwierig. Auch das Bildungssystem wurde durch die Gewalt in Mitleidenschaft gezogen: Schulen mussten aufgrund von Schießereien geschlossen werden oder wurden ausgeraubt und niedergebrannt.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren bis Oktober mehr als 700 000 Menschen, die Hälfte davon Kinder, wegen der Gewalt aus ihrer Heimat geflohen. Viele Binnenvertriebene waren mit Gewalt krimineller Banden konfrontiert und hatten keinen Zugang zu Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung.
Ungesetzliche Angriffe und Tötungen
Die Misshandlungen durch kriminelle Banden hielten unvermindert an. Einem Bericht des OHCHR aus dem Jahr 2024 zufolge wurden mindestens 5.601 Menschen getötet, 2.212 Menschen verletzt und 1.494 entführt. Kriminelle Banden waren für unzählige Übergriffe, auch gegen Kinder, verantwortlich. Dazu gehörten Rekrutierung und Einsatz, Tötung und Verstümmelung, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser, Entführungen und Verweigerung des Zugangs für humanitäre Hilfe.
Im Dezember wurden mindestens 180 Menschen bei einem von einer Bande organisierten Anschlag in Cité Soleil getötet. 2
Der UN-Generalsekretär berichtete in seinem Jahresbericht über Kinder und bewaffnete Konflikte zum ersten Mal über Haiti und stellte fest, dass die Vereinten Nationen im Jahr 2023 383 schwere Übergriffe gegen Kinder in Haiti festgestellt hatten. 3
Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt
Einem UN-Bericht zufolge hat die sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, einschließlich Vergewaltigungen, in der ersten Jahreshälfte zugenommen, und “Banden haben weiterhin sexuelle Gewalt eingesetzt, um die Bevölkerung zu bestrafen, zu unterdrücken und Angst zu verbreiten”.
Straffreiheit
Das Justizsystem funktionierte nur unter Schwierigkeiten, und Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen und Korruption blieben weiterhin ungestraft.
Der Einsatz der multinationalen Sicherheitsunterstützungsmission in Haiti warf ernsthafte Bedenken über die fehlende Transparenz in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte auf. Es fehlten Informationen über den Mechanismus zur Rechenschaftslegung für mögliche Menschenrechtsverletzungen. 4
Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen
Mehrere Länder in der Region haben es versäumt, Haitianer*innen, die vor der Gewalt und der katastrophalen Lage im Lande fliehen, internationalen Schutz zu gewähren.
Haitianer*innen waren Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt. Die USA und die Dominikanische Republik setzten ihre Politik der gewaltsamen und unrechtmäßigen Rückführung von Haitianer*innen fort und versäumten es, den Zugang zu Asyl für diejenigen zu gewährleisten, die internationalen Schutz suchten. 5
Im Oktober verdreifachte sich die Zahl der Abschiebungen durch neue staatliche Maßnahmen der Dominikanischen Republik. Bis zum Ende des Jahres wurden 199.170 Personen aus den USA und der Dominikanischen Republik nach Haiti abgeschoben.
- “Haiti: Severe crisis calls for lasting solutions, not impunity”, 10 May ↑
- “Haiti: Justice and protection must follow reports of mass killing in Cité Soleil”, 11 December ↑
- “Child protection urged as the Multinational Security Support Mission deploys to Haiti”, 2 July ↑
- “Haiti: Human rights safeguards and transparency must guide security mission deployment”, 4 June ↑
- “Dominican Republic: End racist deportations of Haitians”, 8 October ↑