Indonesien

Republik Indonesien

Berichtszeitraum 1.1.2024 – 31.12.2024
Englischer Originaltext Indonesia
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Die Polizei beantwortete öffentliche Proteste mit übermäßiger und unnötiger Gewalt. Journalist*innen wurden angegriffen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde weiterhin durch problematische Gesetze unterdrückt. In Papua hielten rechtswidrige Tötungen, Folter und Straflosigkeit an. Bei Entwicklungsprojekten, die indigene Völker betreffen, fehlte deren freie, vorherige und informierte Zustimmung. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Energiepolitik und des Plans der Regierung für Null-Netto-Emissionen geäußert. Recherchen ergaben, dass die Regierung Spionage- und Überwachungstechnologie importiert und eingesetzt hat.

Hintergrund

Im Februar wurde Prabowo Subianto zum neuen Präsidenten gewählt. Prabowo Subianto war zu einem früheren Zeitpunkt beschuldigt worden, für Menschenrechtsverletzungen in den späten 1990er Jahren verantwortlich zu sein, unter anderem für das gewaltsame Verschwindenlassen von Aktivist*innen. Es gab weit verbreitete Zweifel an der Unabhängigkeit des Wahlprozesses. Unter anderem wurde der frühere Präsident Joko Widodo kritisiert, weil er im Namen seines Sohnes Gibran Rakabuming Raka Wahlkampf betrieben hatte, obwohl Gibran die formalen Voraussetzungen für eine Kandidatur nicht erfüllte. Dieses Erfordernis wurde später in einem Urteil des Verfassungsgerichts bekräftigt.

Versammlungsfreiheit

Die Sicherheitskräfte gingen mit übermäßiger und unnötiger Gewalt gegen Demonstrierende vor.

Am 20. Mai wurde das People’s Water Forum (PWF) – eine Veranstaltung, die ein weltweites Netzwerk von Menschen und Organisationen zusammenbringt, die sich für Wasser als Menschenrecht einsetzen – von Mitgliedern einer lokalen paramilitärischen Gruppe die den Abbruch der Veranstaltung forderten, gewaltsam gestört Auf Videoaufnahmen war zu sehen, wie die Gruppe Transparente und Plakate zerstörte und Forumsteilnehmer*innen körperlich angriff. Sie beschuldigte das PWF, die Aufmerksamkeit vom 10. Weltwasserforum abzulenken, das zeitgleich von der Regierung in Nusa Dua, Bali, ausgerichtet wurde.  Die Behörden konnten den Angriff nicht verhindern und bis zum Jahresende waren die Täter*innen nicht identifiziert. [1]

Zwischen dem 22. und 26. August gingen Tausende Demonstrierende in den Provinzen des Landes auf die Straße, um gegen Versuche des Repräsentantenhauses zu protestieren, das Wahlgesetz trotz eines Urteils des Verfassungsgerichts zu ändern. Die Änderung hätte höhere Schwellenwerte für die Aufstellung lokaler Kandidat*innen durch die politischen Parteien wieder eingeführt. Außerdem hätte sie dem Sohn des ehemaligen Präsidenten Joko Widodo, der die Altersvoraussetzungen für eine Kandidatur nicht erfüllte, erlaubt, für ein regionales Amt zu kandidieren. Aufgrund der Gegenreaktion zog das Parlament den Gesetzentwurf zurück.

Die Sicherheitskräfte reagierten auf die Demonstrationen, die als “#EmergencyWarning“ (#PeringatanDarurat) bekannt sind, mit übermäßiger und unnötiger Gewaltanwendung und willkürlichen Verhaftungen. Mindestens 344 Menschen wurden verhaftet, 152 verletzt und 17 litten unter den Auswirkungen von Tränengas. Mindestens eine Person „verschwand“ für kurze Zeit, während 65 Personen mehrfache Übergriffe erlitten, darunter willkürliche Verhaftungen und Isolationshaft. [2] Die meisten Verhafteten wurden anschließend wieder freigelassen. Vierzehn Personen wurden nach dem Strafgesetzbuch wegen Hassbekundungen und Gewalt gegen Eigentum angeklagt. In Bandung, Provinz West-Java, zeigte ein von Amnesty International geprüftes Video, wie Polizisten unbewaffnete Demonstrierende verfolgten, mit Schlagstöcken auf sie einschlugen und auf sie eintraten. Am 26. August wurden in Semarang in der Provinz Zentraljava mindestens 15 Universitätsstudent*innen ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem die Polizei Tränengas eingesetzt hatte, um die Demonstrierenden zu vertreiben. Auch Kinder waren dem Tränengas ausgesetzt, das in Wohngebieten eingesetzt wurde. {3].

Menschenrechtsverteidiger*innen

Im Laufe des Jahres wurden mindestens 123 Fälle von physischen und digitalen Angriffen, Drohungen und anderen Formen von Repressalien gegen 288 Menschenrechtsverteidiger*innen gemeldet. Den Menschenrechtsverteidiger*innen fehlte ein angemessener Rechtsschutz, so dass sie Drohungen und Einschüchterungen ausgesetzt waren. Nur sehr wenige der für die Angriffe verantwortlichen Personen wurden vor Gericht gestellt, davon wurde nur eine kleine Zahl vor Gericht verurteilt.

Am 17. Juli wurde Yan Christian Warinussy, ein hochrangiger Anwalt und Menschenrechtsaktivist in Papua, von einer nicht identifizierten Person in Manokwari, Provinz West Papua, angeschossen und verletzt. Der Angriff ereignete sich, nachdem er an einem Korruptionsprozess teilgenommen hatte, in den lokale staatliche Rechnungsprüfer vor dem Antikorruptionsgericht von Manokwari involviert waren. Bis zum Jahresende wurden keine Fortschritte bei den polizeilichen Ermittlungen bekannt. [4]

Freiheit der Meinungsäußerung

Im Januar trat die zweite Änderung des Gesetzes über elektronische Informationen und Transaktionen (EIT) in Kraft. Sie enthielt mehrere Änderungen, die von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft als unzureichend angesehen wurden. Es gab die Sorge, dass die Änderung strafrechtliche Sanktionen für Verleumdung beibehielt, die seit der ersten Verabschiedung des EIT im Jahr 2016 immer wieder zur Unterdrückung von Rechtsverteidiger*innen und Oppositionellen eingesetzt worden waren.

Am 8. Januar wurden die Menschenrechtsverteidiger*innen Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti vom Bezirksgericht Ost-Jakarta vom Vorwurf der Verleumdung freigesprochen. Sie waren nach dem EIT-Gesetz wegen “Verbreitung falscher Informationen” über ein YouTube-Video angeklagt worden, in dem behauptet wurde, dass ein Minister und Angehörige des Militärs in die Bergbauindustrie in der Provinz Papua verwickelt seien.

Im März erklärte ein Urteil des Verfassungsgerichts drei Artikel des Strafgesetzbuchs und der strafrechtlichen Bestimmungen über Verleumdung für verfassungswidrig.

Journalist*innen

Journalist*innen waren weiterhin Gewalt und Einschüchterung ausgesetzt. Während der “#EmergencyWarning”-Proteste wurden Berichten zufolge mindestens 11 Journalist*innen in der Hauptstadt Jakarta von den Strafverfolgungsbehörden angegriffen. Dabei kam es zu Einschüchterungsversuchen und Morddrohungen sowie zu psychischer und physischer Gewalt, die zu schweren Verletzungen führte. Drei Mitglieder des Studentischen Presseinstituts in Semarang, Provinz Zentraljava, erlitten Atemprobleme und verloren das Bewusstsein, nachdem die Polizei Tränengas zur Auflösung einer Demonstration eingesetzt hatte.

Am 22. August wurden Angehörige der Sicherheitskräfte verdächtigt, einen Journalisten der Nachrichtenagentur Tempo, der über eine Demonstration im Parlamentskomplex berichtete, geschlagen und mit dem Tod bedroht zu haben. Drei Polizeibeamte sollen den Journalisten auf einer nahe gelegenen Polizeistation geschlagen, eingeschüchtert undgezwungen haben, das von ihm aufgenommene Video zu löschen. [5] 

Folter und andere Misshandlungen

Amnesty International dokumentierte im Laufe des Jahres mindestens 40 Fälle von Folter und anderen Misshandlungen mit mindestens 59 Opfern. Im Januar soll ein Polizeibeamter vier Bewohner*innen des Dorfes Amasing in der Provinz Nord-Maluku gefoltert haben. Nach Angaben der Opfer waren sie auf dem Weg in das Dorf Labuha, als sie von einem Polizeibeamten angehalten wurden, der sie schlug und auf sie eintrat und andere anwies, sich dem Angriff anzuschließen. Die Polizei bestritt eine Beteiligung und weigerte sich, den Namen des mutmaßlichen Täters zu nennen. [6]

Im März kursierte ein 16 Sekunden langes Video, das zeigt, wie ein Papua in einem mit Wasser gefüllten Fass gefoltert wird. [7] Der Vorfall war Berichten zufolge Teil der Folterungen von drei indigenen Papua im Monat zuvor. Einer vertrauenswürdigen Quelle zufolge ereignete sich der Vorfall im Bezirk Puncak in der Provinz Zentra-Papua und die Täter waren Mitglieder des Yonif 300 Raider Braja Wijaya Bataillons aus der Provinz West-Java, die zur Grenzpatrouille nach Papua geschickt worden waren. Nach anfänglichem Leugnen der Beteiligung wurden 13 Offiziere vom Militär in West-Java als Verdächtige benannt, die behaupteten, das Opfer in dem Video gehöre zu den bewaffneten Separatist*innen aus Papua, die währen der Verhaftung zu fliehen versuchten hätten. Er starb später. Die beiden anderen Männer aus Papua wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Bis zum Jahresende waren die Täter noch nicht vor Gericht gestellt worden.

Rechtswidrige Tötungen

In Papua wurden im Rahmen des Konflikts zwischen dem indonesischen Militär und bewaffneten Separatistengruppen rechtswidrige Tötungen von Zivilist*innen ungestraft fortgesetzt.

Im Mai äußerte sich der UN-Menschenrechtsausschuss in seinen abschließenden Beobachtungen besorgt über die außergerichtlichen Tötungen der indigenen Papuas.

Im August verhafteten Beamte des Nabire-Polizeibüros in Papua Yeremias Magai und Ken Boga unter dem Verdacht, einen Wachmann ermordet zu haben. Während ihres Verhörs sollen den beiden Männern die Augen verbunden worden sein und sie wurden mit bloßen Fäusten und schweren Werkzeugen, darunter einem Hammer, geschlagen. Yermias Magai starb an seinen Verletzungen. Ken Boga und die Familie des Verstorbenen beteuerten deren Unschuld und behaupteten, das Verhör sei ein Versuch gewesen, ein Geständnis zu erzwingen. Die Anwälte der Familien der Opfer legten den Fall der indonesischen Menschenrechtskommission zur Untersuchung vor.

Im August wurde der neuseeländische Hubschrauberpilot Glen Malcolm Conning bei der Landung in Papua von Mitgliedern einer bewaffneten Gruppe getötet. Er hatte medizinisches Personal einer privaten Firma transportiert. Amnesty International forderte eine umfassende Untersuchung [8] Im September wurde ein weiterer Neuseeländer, Philipp Mark Mehrtens, Pilot eines kleinen Verkehresflugzeuges, freigelassen nachdem er mehr als 19 Monate von der „West Papua National Liberation Army (TPNPB)“, einer Pro-Unabhängigkeitsgruppe in der Region Papua festgehalten worden war.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Die Durchführung nationaler strategischer Projekte, d.h. Projekte, die als außerordentlich wichtig für das Wirtschaftswachstum in Indonesien angesehen werden, wurde vorangetrieben. In vielen Fällen fehlte die freie, vorherige und informierte Zustimmung der davon betroffenen indigenen Völker.

Im März erhielten die Bewohner*innen von Sukaraja, Bukit Raya, Pemaluan und Bumi Harapan, bei denen es sich größtenteils um indigene Balik handelt, eine Mitteilung der Hauptstadtbehörde von Nusantara mit der Aufforderung, ihre Häuser innerhalb einer Woche abzureißen. Die Behörde argumentierte, dass die Häuser gegen den Raumplan der geplanten neuen indonesischen Hauptstadt verstießen.Eine Einladung zur Anhörung der Betroffenen schickte sie erst 24 Stunden vor der Veranstaltung . Später widerrief die Behörde die Abrissverfügung aufgrund der Einsprüche der Bewohner*innen, die dennoch ohne ausreichende Entschädigung zur Umsiedlung verpflichtet wurden. Am Ende des Jahres lebten die Bewohner*innen weiterhin unter der Gefahr einer drohenden Räumung.

Anwohner*innen, die von der Rempang Eco City, einem 17.000 Hektar großen integrierten Industrieprojekt auf den Riau-Inseln, betroffen sind, sahen sich ähnlichen Problemen gegenüber. Im September, ein Jahr nachdem das Sicherheitspersonal gewaltsam gegen die Proteste gegen das Projekt vorgegangen war, wurden die Anwohner*innen, die eine Straße im Dorf Sungai Bulu bewachten, weiterhin von Personen in Zivil eingeschüchtert und angegriffen. Drei Personen wurden verletzt, als sie von einer Holzplanke und einem Helm getroffen wurden. Auch Protestplakate wurden beschädigt.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Im September hat die Regierung zwei wichtige politische Dokumente fertiggestellt: den Entwurf einer Regierungsverordnung zur nationalen Energiepolitik (RPP KEN) und das Gesetz über neue und erneuerbare Energien (EBET). Diese Dokumente wurden als entscheidend für die Gestaltung der Energiepolitik des Landes angesehen. Während sich das Ministerium für mineralische Energie und Ressourcen und die Kommission VII des Parlaments auf die Regierungsverordnung zum RPP KEN einigten, dauerten die parlamentarischen Beratungen über das EBET-Gesetz am Jahresende noch an.

Organisationen der Zivilgesellschaft äußerten Bedenken zu den beiden Gesetzentwürfen, da sie ihrer Meinung nach für einen Übergang zu Netto-Null-Emissionen nicht ausreichen. Im RPP KEN senkte die Regierung die Zielvorgaben für den Anteil erneuerbarer Energien, indem sie das Ziel für 2025 von 23% auf eine Spanne von 17-19% und für 2030 von 26% auf eine neue Spanne von 19-21% anpasste. Das EBET-Gesetz erlaubte weiterhin die Entwicklung fossiler Brennstoffe, sofern sie mit Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung einhergingen. Darüber hinaus fehlten in beiden Dokumenten Überlegungen zu den sozialen Auswirkungen. Befürchtet wurdenweiterer Landraub für Energieprojekte und die fortbestehende Ungerechtigkeit für die betroffenen Gemeinden.

Unerlaubte gezielte Überwachung

Im Mai veröffentlichte Amnesty International einen Forschungsbericht, in dem der umfangreiche Verkauf und Einsatz von hochgradig intrusiver Spionagesoftware und Überwachungstechnologien von 2017 bis mindestens 2023 detailliert beschrieben wird. Es gab zahlreiche Fälle von Importen und Einsätzen von hochgradig invasiver 9Spionage-Software durch Unternehmen und staatliche Stellen, darunter die Nationale Polizei und die Nationale Cyber- und Kryptoagentur. Die Geräte stammten aus Griechenland, Israel, Malaysia und Singapur. [9]

Das im Jahr 2022 verabschiedete Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten trat offiziell am 17. Oktober in Kraft. Die Behörden hatten jedoch die Durchführungsbestimmungen noch nicht vollständig formuliert, einschließlich der Einrichtung einer speziellen Datenschutzbehörde, wie sie im Gesetz vorgesehen ist.

 

[1] Indonesia: Shameful intimidation of participants at People’s Water Forum in Bali”, 22 May 

[2] Indonesia: Police must be held accountable for repeated unlawful use of force against peaceful protesters”, 9 Dec 

[3] Indonesia: “Stop police brutality”, 27 August (only available in Bahasa Indonesia) 

[4] Indonesia: Shooting of human rights defender shows increasing threats in Papua”, 18 July 

[5] Indonesia: The Committee for the Safety of Journalists Condemns Police Violence Against Journalists During the Protest Against the 2024 Regional Election Bill”, 24 August (only available in Bahasa Indonesia) 

[6] Indonesia: Investigate Brimob members involved in torturing South Halmahera residents”, 12 February (only available in Bahasa Indonesia) 

[7] Indonesia: Thoroughly investigate torture in Puncak, evaluate TNI placement in Papua ”, 3 March (only available in Bahasa Indonesia) 

[8] Indonesia: ‘Unlawful killing’ of New Zealand pilot in Papua must be investigated”, 6 August 

[9] Indonesia: A Web of Surveillance: Unravelling a Murky Network of Spyware Exports to Indonesia, 1 May  

17. Juni 2025