Staat Libyen
Berichtszeitraum | 1.1.2024 – 31.12.2024 |
Englischer Originaltext | Libya |
Sicherheitskräfte, Milizen und bewaffnete Gruppen verhafteten in ganz Libyen Hunderte von Aktivist*innen, Demonstrierenden, Journalist*innen, Nutzer*innen sozialer Medien und weitere Personen. Tausende Menschen waren weiterhin in der Folge grob unfairer Gerichtsverfahren oder ohne rechtliche Grundlage allein wegen ihrer politischen Ausrichtung oder Stammeszugehörigkeit willkürlich inhaftiert. Systematische Folter und andere Misshandlungen waren unvermindert weit verbreitet. Unter Folter erpresste „Geständnisse“ wurden im Internet veröffentlicht. Die Zivilgesellschaft war gelähmt angesichts der Versuche rivalisierender Behörden, die Registrierung, Finanzierung und Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen (NGO) zu kontrollieren. Sporadische Zusammenstöße zwischen Milizen und bewaffneten Gruppen, bei denen Explosivwaffen großer Reichweite zum Einsatz kamen, verursachten Opfer unter der Zivilbevölkerung und die Zerstörung ziviler Objekte. Frauen, Mädchen und Angehörige religiöser Minderheiten waren tief verwurzelter Diskriminierung ausgesetzt. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans– und intergeschlechtliche Menschen wurden Opfer willkürlicher Verhaftungen sowie von Strafverfolgung und Todesdrohungen. Milizen und bewaffnete Gruppen vertrieben Menschen aus ihren Wohnungen und zerstörten Häuser. Die von der EU unterstützte Küstenwache im Westen Libyens und bewaffnete Gruppen im Osten des Landes fingen auf See Tausende von Flüchtlingen und Migranten ab, brachten sie gewaltsam zurück an Land und in libyschen Gewahrsam. Inhaftierte Flüchtlinge und Migranten waren Folter, sexualisierter Gewalt und Zwangsarbeit ausgesetzt. Tausende wurden ohne rechtmäßige Verfahren und ohne Möglichkeit, Asyl zu beantragen, gewaltsam in Nachbarländer abgeschoben. Gerichte verhängten Todesurteile nach unfairen Gerichtsverfahren; Hinrichtungen gab es nicht.
Hintergrund
Die politische Pattsituation hat sich weiter verschärft, da sich die rivalisierenden Fraktionen weder auf eine neue Einheitsregierung und einen gemeinsamen Haushalt einigen konnten noch auf Termine für die seit langem aufgeschobenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen.
Am 30. September einigten sich die rivalisierenden Regierungen auf einen neuen Gouverneur für die Libysche Zentralbank (CBL) und beendeten damit die Bankenkrise, die sich seit der Absetzung des CBL-Gouverneurs Sadik al-Kebir am 20. August negativ auf Handel, Öleinnahmen und den Zugang zu Devisen ausgewirkt hatte.
Die Libysch-Arabischen Streitkräfte (LAAF), die de facto im Osten und in Teilen des Südens von Libyen die Macht ausüben, stoppten die Ölförderung im Zusammenhang mit der Krise um die Führung der CBL und Berichten über den im August von Spanien gegen Saddam Haftar ausgestellten Haftbefehl, den de facto-Anführer der bewaffneten Gruppe Tarik Ben Zeyad (TBZ) und Sohn von General Khalifa Haftar, Befehlshaber der LAAF.
Die Verstöße gegen das UN-Waffenembargo gegen Libyen hielten an, weiterhin wurden Schiffsladungen aus Russland offen in ostlibyschen Häfen angeliefert und gelöscht.
Willkürliche Inhaftierung und unfaire Gerichtsverfahren
Sicherheitskräfte, Milizen und bewaffnete Gruppen verhafteten willkürlich Hunderte von Aktivist*innen, Stammesführern, Journalist*innen, Regierungsbeamt*innen und andere Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten politischen oder Stammeszugehörigkeit, ihrer Meinung, oder um Geld zu erpressen. Aufgrund grob unfairer Gerichtsverfahren oder ohne Rechtsgrundlage waren nach wie vor Tausende allein wegen ihrer politischen Ausrichtung oder Stammeszugehörigkeit inhaftiert.
Im Februar nahmen rund 20 bewaffnete Männer des Unterstützungsdienstes der Sicherheitsdirektionen in der Ostregion den Sufi-Scheich Muftah Al-Amin Al-Biju in seinem Haus in Benghazi fest. Am Ende des Jahres befand er sich weiterhin ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in willkürlicher Haft und hatte keinen Zugang zu Familienangehörigen und Rechtsanwält*innen.
Im Juli entführten nicht identifizierte, bewaffnete Männer in Zivil die politischen Aktivisten Al-Moatassim Al-Areebi und Mohamed Shtewi aus einer Straße in Misrata. Sie hielten die beiden tagelang in Verbindung mit geleakten Aufnahmen fest, welche Schlussfolgerungen auf Korruption von Beamten zuließen.
Folter und andere Misshandlungen
Folter und andere Misshandlungen wurden nach wie vor in ganz Libyen in Gefängnissen und anderen Hafteinrichtungen systematisch eingesetzt. Es gab u.a. Berichte über Prügel, Elektroschocks, sexualisierte Gewalt und Stresspositionen. Weiterhin veröffentlichten Milizen und bewaffnete Gruppen unter Folter erpresste „Geständnisse“ im Internet.
Die Behörden versäumten es, Ursachen und Umstände verdächtiger Todesfälle in Gewahrsam umgehend und mit Nachdruck zu untersuchen. Im Juli starb Ahmed Abdel Moneim Al-Zawi während der Inhaftierung durch die Agentur für Innere Sicherheit (ISA) in Ajdabiya. Die ISA behauptete, er habe sich erhängt, Zeugen berichteten jedoch, sie hätten einen Bluterguss an seinem Hinterkopf gesehen, der offenbar von einem schweren Schlag herrührte. Ein Staatsanwalt in Benghazi schloss die Fallakte ohne jede Untersuchung.
Recht auf Vereinigungsfreiheit
Weiterhin gingen bewaffnete Akteure, jeweils im Verbund mit rivalisierenden Behörden, gegen die Zivilgesellschaft vor. Sie entführten Aktivist*innen, hielten sie willkürlich fest, luden sie zu Zwangsverhören vor, bedrohten sie und verlangten Informationen von ihnen.
Im Oktober kam es bei einer Razzia der bewaffneten Gruppe ISA in Sabha bei einer zivilgesellschaftlichen Veranstaltung zum Thema psychische Gesundheit zu kurzzeitigen Festnahmen und Vernehmungen mehrerer Teilnehmer*innen.
Die Kommission für die Zivilgesellschaft, ein offizielles Gremium, brachte einen Gesetzentwurf zu Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ein, welcher der Regierung unzulässige Befugnisse in Bezug auf Registrierung, Finanzierung und Aktivitäten von NGOs einräumen würde. Der Gesetzesentwurf ebenso wie Gegenentwürfe aus der libyschen Zivilgesellschaft lagen dem Parlament weiterhin vor.
Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Bewaffnete Gruppen und Milizen nahmen willkürlich Hunderte von Aktivist*innen, Demonstrant*innen, Journalist*innen und Autor*innen von Online-Beiträgen fest, allein deshalb, weil sie ihre Rechte auf Meinungsäußerung und friedliche Versammlung ausgeübt hatten.
Wegen kritischer Beiträge über die LAAF in sozialen Medien nahm die bewaffnete Gruppe ISA im Januar die Bloggerin Maryam Mansour al-Warfalli in Sabha fest und hielt sie ohne Anklage oder Gerichtsverfahren bis zum Oktober in Haft.
Am 11. Juli verhaftete die ISA-Miliz in der Hauptstadt Tripolis den Journalisten Ahmed Al-Sanousi, nachdem er einen Artikel über Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung der Nationalen Einheit (GNU) in Tripolis veröffentlicht hatte. Nach einem öffentlichen Aufschrei kam er drei Tage später frei und floh anschließend aus Libyen, nachdem er Drohungen erhalten hatte.
Ein friedlicher Protest von Einwohnern der Stadt Yefren im Westen des Landes wurde am 24. Oktober von Soldaten der Militärregion Westliche Berge der GNU-Streitkräfte gewaltsam aufgelöst. Die Menschen hatten gegen immer schlechtere Lebensbedingungen und gegen die Präsenz von Milizen aus Tripolis protestiert. Nach Augenzeugenberichten wurden zwei Demonstrierende verletzt. Im Anschluss an die Proteste nahm das Sicherheitsdirektorat der Berge in der Zentralregion (Central Mountain Security Directorate) mindestens 14 Personen fest, die verdächtigt wurden, die Proteste organisiert oder an ihnen teilgenommen zu haben. Eine Person befand sich Ende des Jahres noch in Haft.
Rechtswidrige Angriffe
Während eine 2020 vereinbarte landesweite Waffenruhe weitgehend hielt, kam es dennoch in Tripolis sowie in al-Zawiya und al-Jameel im Westen und in Sabha im Süden des Landes sporadisch zu kleineren bewaffneten Zusammenstößen zwischen Milizen und bewaffneten Gruppen; dabei ging es um die Kontrolle von Bodenschätzen oder um politischen Einfluss. Wahllose Angriffe und der rücksichtslose Einsatz von Schuss- und Sprengwaffen mit großflächiger Wirkung in Wohngebieten forderten Opfer unter der Zivilbevölkerung und beschädigten und zerstörten zivile Objekte. Im Mai wurde ein zehnjähriges Mädchen in Tripolis bei Zusammenstößen zwischen lokalen Milizen getötet.
Im August kam es bei Zusammenstößen zwischen zwei Milizen in Tajoura, einem östlichen Vorort von Tripolis, nach Angaben des Ambulanz- und Notfalldienstes, infolge des Einsatzes großflächig wirkender Sprengwaffen zu mindestens neun Toten und einer Reihe von Verletzten sowie zur vorübergehenden Vertreibung Dutzender Familien.
Straffreiheit
Beamte und Befehlshaber einflussreicher Milizen und bewaffneter Gruppen genossen nahezu absolute Straffreiheit bei Verbrechen nach dem Völkerrecht, die sie 2024 oder in den Jahren zuvor begangen hatten.
Im Mai richtete der GNU-Premierminister eine neue Agentur zur Bekämpfung von Finanzkriminalität und Terrorismus ein, ohne dass deren Leiter und Mitglieder auf ihre menschenrechtliche Eignung überprüft wurden.
Im Juli nahm der UN-Menschenrechtsrat eine Resolution zur Erneuerung seines Programms zur technischen Hilfe und zum Kapazitätsaufbau in Libyen an, denn beides blieb weit hinter dem Untersuchungs- und Überwachungsmechanismus zurück, wie ihn die Nichtregierungsorganisationen befürworten. Deshalb droht die Straflosigkeit sich weiter zu verfestigen.
Ebenfalls im Juli wurden 12 untere und mittlere Beamte wegen ihrer Verantwortung für die tödlichen Dammbrüche bei Derna im September 2023 zu Haftstrafen verurteilt. Jedoch versäumten es die Behörden, eine unverzügliche, gründliche, unabhängige, unparteiische und wirksame Untersuchung einzuleiten, Durch eine solche Untersuchung hätte sich feststellen lassen, inwieweit einflussreiche Militärs oder Politiker dabei versagt haben, die Menschenrechte der Anwohner zu schützen, insbesondere das Recht auf Leben und Gesundheit.[1]
Im September wurde Abdelrahman Milan, bekannt als „Bija“, in Tripolis erschossen, ohne dass er vor Gericht gestellt wurde. Gegen ihn gab es UN-Sanktionen wegen seiner vermuteten Beteiligung an Menschenschmuggel und Misshandlung von Migranten.
Im Oktober verkündete der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen sechs Anführer, hochrangige Mitglieder und Partner der bewaffneten Gruppe al-Kaniat wegen Kriegsverbrechen wie Mord, Folter, gewaltsamem Verschwindenlassen und anderen unmenschlichen Handlungen in der nordöstlichen Stadt Tarhouna, welche die Gruppe bis Juni 2020 kontrolliert hatte. Fünf der Verdächtigen waren weiterhin auf freiem Fuß, während die libyschen Behörden Abdelbari Al Shaqaqi, der Berichten zufolge von der Einrichtung zur Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität DACTO (Deterrence Apparatus to Combat Terrorism and Organized Crime) festgehalten wurde, nicht an den IStGH übergaben. [2]
Trotz der Berichte über Folter und andere Verbrechen durch die DACTO war diese weiterhin an der Vernehmung und Inhaftierung von Personen beteiligt, denen Verbrechen nach dem Völkerrecht zur Last gelegt werden, darunter ein Befehlshaber der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat, der für die Enthauptung von 21 ägyptischen Christen in Libyen im Jahr 2015 verantwortlich gemacht wurde.
Diskriminierung
Frauen und Mädchen
Frauen wurden durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert, u.a. bezüglich Heirat, Sorgerecht, des Zugangs zu politischen Ämtern und Arbeitsmöglichkeiten.
Social media-Influencerinnen und Autorinnen waren Zielscheibe von Milizen und bewaffneten Gruppen, weil ihre Ausdrucksformen und ihre Kleidung nicht den herrschenden gesellschaftlichen Normen entsprachen, deren Grundlage die Diskriminierung von Frauen und Mädchen ist. Im März ließ die DACTO eine Frau frei, die sie seit November 2022 aus Gründen der „Moral“ in Haft hielt und deren Freilassung die Staatsanwaltschaft im April 2023 angeordnet hatte.
Im September nahm die bewaffnete Gruppe ISA am Flughafen von Benghazi zwei Influencerinnen in Gewahrsam unter dem Vorwurf, ihr Verhalten habe gegen gesellschaftliche Normen verstoßen. Über ihr Schicksal und ihren Verbleib gab es bis Ende des Jahres keinerlei Informationen.
Im Juni richtete der Präsidialrat im Rahmen seines Mandats die Behörde zum Schutz der öffentlichen Moral ein. Im Oktober schuf die GNU eine neue Abteilung im Innenministerium für den Schutz der Moral. Im November kündigte der Innenminister der GNU Pläne an, die Verschleierungspflicht für Frauen einzuführen und mit Hilfe einer „Sittenpolizei“ durchzusetzen. Er drohte außerdem mit der Einführung strengerer Maßnahmen, um Frauen daran zu hindern, ohne die Erlaubnis eines männlichen Vormundes ins Ausland zu reisen.
Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI)
Einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen waren weiterhin strafbar. Die ISA in Tripolis und andere Milizen und bewaffnete Gruppen nahmen Dutzende von Personen wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung fest.
Es gab Todesdrohungen gegen LGBTI-Menschen und Aktivist*innen wegen ihrer Beiträge in den sozialen Medien, weshalb einige von ihnen aus Libyen flohen.
Im März übergab das Büro der Staatsanwaltschaft in Tripolis 19 Personen wegen „Homosexualität“ und „Atheismus“ an das erstinstanzliche Gericht im Süden von Tripolis zur Anklageerhebung. Alle kamen bis zur Verhandlung gegen Kaution frei mit der Auflage, sich wöchentlich bei der Staatsanwaltschaft zu melden.
Im Juli verhaftete die Notstandspolizei von Tripolis einen Straßenhändler, der auf dem Platz der Märtyrer regenbogenfarbene Flugdrachen verkauft hatte.
Ethnische Minderheiten und indigene Gemeinschaften
Im Januar verabschiedete das Parlament ein neues Gesetz, das „Hexerei“ und „Zauberei“ unter Strafe stellt. Dieses Gesetz gefährdet die Rechte auf Gewissens- und Religionsfreiheit religiöser und ethnischer Minderheiten, u.a. der Sufis und der Berber (Amazigh). Letztere sind Anhänger des Ibadi-Islams.
Mitglieder der Gemeinschaften der Tabu und Tuareg, die aufgrund diskriminierender Gesetze und Regelungen zur libyschen Staatsbürgerschaft keine Personalausweise besaßen, begegneten Hindernissen beim Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten.
Zwangsräumungen
Milizen und bewaffnete Gruppen in Tripolis und Benghazi führten Zwangsräumungen durch und zerstörten Häuser. Wer dagegen protestierte, wurde festgenommen oder eingeschüchtert.
Im März wurden nach Angaben der Vereinten Nationen rund 350 Familien im Stadtteil Abu Salim in Tripolis gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben, ohne dass man ihnen alternative Unterkünfte zur Verfügung stellte.
Im Oktober nahm die ISA in Benghazi den Journalisten Mohamed Al-Sarit Qarqar fest, nachdem dieser im Internet die Beschlagnahmung von Privateigentum durch den libyschen Wiederaufbaufonds kritisiert hatte. Der LAAF nahestehende bewaffnete Gruppen hatten die Häuser seiner Onkel in Jaliana, einem Stadtteil von Benghazi, ohne eine angemessene Entschädigung oder Abstimmung mit kommunalen Behörden gewaltsam geräumt und abgerissen. Mohamed Al-Sarit Qarqar kam nach 19 Tagen aus medizinischen Gründen frei.
Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen
Nach wie vor wurden Flüchtlinge und Migrant*innen in ganz Libyen Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Misshandlung durch Sicherheitskräfte sowie durch Milizen, bewaffnete Gruppen und andere nichtstaatliche Akteure, die weiterhin ungestraft blieben.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration starben zwischen Januar und September 1.749 Menschen im zentralen Mittelmeer oder blieben dort verschollen. Im März und im Juli wurden in Libyen mindestens zwei Massengräber mit 65 bzw. 12 Leichen entdeckt, mutmaßlich Flüchtlinge und Migrant*innen. Im Laufe des Jahres fingen die von der EU unterstützte Küstenwache in Westlibyen sowie der LAAF nahestehende Spezialkräfte der Marine und die TBZ in Ostlibyen 21.762 Flüchtlinge und Migrant*innen auf See ab und brachten sie gegen ihren Willen nach Libyen zurück.
Nachdem Menschen auf See abgefangen worden waren und nach Razzien auf behelfsmäßige Lagerplätze von Migrant*innen oder Verstecke von Menschenschmugglern bzw. Schleusern durch Milizen und bewaffnete Gruppen kam es in Südlibyen zu verstärkten umfangreichen Festnahmen von Personen allein aufgrund ihres Status als Migrant*innen. Im Dezember waren noch immer mehr als 5.470 ausländische Staatsangehörige in Zentren der Abteilung für die Bekämpfung unerlaubter Migration des Innenministeriums (DCIM) willkürlich inhaftiert, während gleichzeitig Tausende weiterer Migrant*innen von Milizen und bewaffneten Gruppen festgehalten wurden. Die Haftbedingungen waren grausam und unmenschlich. Die Inhaftierten waren Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt, einschließlich sexualisierter Gewalt, Erpressung, Zwangsarbeit und der Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung.
Während des gesamten Jahres schoben tunesische Behörden gewaltsam Tausende von Flüchtlingen und Migrant*innen nach Libyen ab. Dort wurden sie unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen inhaftiert und Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt, in Hafteinrichtungen, die vom Libyschen Grenzschutz, der DCIM oder bewaffneten Gruppen betrieben wurden (siehe auch Eintrag zu Tunesien).
Mit der LAAF verbündete bewaffnete Gruppen schoben Tausende Flüchtlinge und Migrant*innen in den Tschad und den Sudan sowie nach Niger und Ägypten ab, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Abschiebung anzufechten oder um internationalen Schutz zu ersuchen. Einige, darunter solche, die aus ausgedehnter Gefangenschaft durch Schleuser gerettet wurden, wurden abgeschoben als „Krankheitsüberträger“.
Todesstrafe
In Libyen ist weiterhin für eine Vielzahl von Straftaten die Todesstrafe vorgesehen, einschließlich für solche, die nach internationalen Rechtsnormen nicht mit dem schwersten Verbrechen der „vorsätzlichen Tötung“ gleichgesetzt werden können. Straf- und Militärgerichte verhängten weiterhin Todesurteile wegen Mordes nach grob unfairen Gerichtsverfahren. Hinrichtungen fanden nicht statt.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Begrenzte Frühwarnsysteme und eine unzureichende Krisenreaktion verstärkten die zunehmende Anfälligkeit Libyens bei extremen Wetterereignissen. Im August suchten Starkregen, Überschwemmungen und Gewitter die Städte Kufra und Ghat sowie weitere Gebiete in Südlibyen heim, was zu umfangreichen Schäden und Todesopfern führte. Libyen hat nach wie vor das Pariser Klimaschutzabkommen nicht ratifiziert und auch keine formellen Pläne zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel vorgelegt.
[1] Libya: “In Seconds Everything Changed”: Justice and Redress Elusive for Derna Flood Survivors, 11 March
[2] Libya: “Every Day We Die a Thousand Times”: Impunity for Crimes against Humanity in Tarhouna, 26 November