Republik Nicaragua
Berichtszeitraum | 1.1.2024 – 31.12.2024 |
Englischer Originaltext | Nicaragua |
Ausweisungen, Entzug der Staatsangehörigkeit und willkürliche Inhaftierung von Andersdenkenden und anderen Personen hielten an und setzten sie schwerer Gefährdung und Verletzung ihrer Rechte aus. Die Behörden verhängten strenge Beschränkungen für die Medien und bedrohten damit das Recht auf freie Meinungsäußerung. Journalist*innen waren von Tod und gewaltsamem Verschwinden bedroht. Indigene Völker waren weiterhin in Gefahr von Vertreibung, Verschwindenlassen und Angriffen durch regierungsnahe bewaffnete Gruppen.
Hintergrund
Die Repressionen, die während der Proteste 2018 begonnen hatten, wurden fortgesetzt, einschließlich der Zerschlagung zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Kriminalisierung von Andersdenkenden. Mehr als 5.000 Organisationen waren seit 2018 geschlossen worden (Stand: September 2024), darunter religiöse Gruppen verschiedener Konfessionen.
Im Jahr 2024 veröffentlichte die UN-Menschenrechtsexpertengruppe für Nicaragua vier thematische Berichte, in denen sie Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe auf Indigene Völker und Afro-nicaraguanische Gemeinschaften, Mitglieder der katholischen Kirche und anderer christlicher Konfessionen, ländliche Gemeinschaften sowie Student*innen, Lehrkräfte, akademische Verwaltungsangestellte und anderes Universitätspersonal aufzeigte. Trotz wiederholter Aufforderungen der internationalen Gemeinschaft an die Regierung, die Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und Verantwortung dafür zu übernehmen, herrschte Straffreiheit vor.
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Die Wohnungssituation in den von Wirbelstürmen betroffenen Regionen war weiterhin kritisch. Die Regierung hielt ihre Versprechen zum Wiederaufbau nicht ein. Das Gesundheitssystem wurde politisiert, was sich unverhältnismäßig stark auf Oppositionelle und politische Gefangene auswirkte, während die Gesundheitsversorgung von Müttern und Jugendlichen unzureichend blieb. Durch die Schließung von 34 Universitäten wurde das Studium von 37.000 Student*innen unterbrochen. Vielen Studierenden, die aus dem Land geflohen waren, wurde der Zugang zu ihren akademischen Zeugnissen verweigert.
Willkürlicher Entzug der Staatsangehörigkeit
Im Januar wurden 16 Vertreter*innen der katholischen Kirche, darunter Rolando Álvarez, der seit über einem Jahr inhaftiert war, ausgewiesen und ihrer Staatsangehörigkeit beraubt. Im September wiesen die Behörden weitere 135 Personen nach Guatemala aus, die zuvor aus politischen Gründen inhaftiert gewesen waren, einige davon seit über zwei Jahren. Seit Beginn der Ausweisungen im Jahr 2023 haben mehr als 400 Personen keinen Zugang mehr zu ihrem Eigentum, sind mit Einschränkungen ihrer Rechte und Freiheiten konfrontiert und haben große Schwierigkeiten, sich in ihren Aufnahmeländern zu integrieren.
Die UN-Menschenrechtsexpertengruppe für Nicaragua berichtete, dass die Ausweisung von nicaraguanischen Staatsangehörigen und Ausländer*innen ohne ordnungsgemäßes Verfahren nicht nur dazu führte, dass sie staatenlos wurden, sondern versetzte sie alle auch in einen Zustand großer Verwundbarkeit und verstärkte für andere, die als Kritiker*innen der Regierung angesehen werden könnten, ein Klima der Angst.
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen
Die Organisation Mechanismus zur Anerkennung politischer Gefangener in Nicaragua (Mecanismo para el Reconocimiento de Personas Presas Políticas de Nicaragua) dokumentierte im Jahr 2024 mindestens 151 Personen, die aus politischen Gründen inhaftiert waren. Am Ende des Jahres befanden sich noch 45 von ihnen in Haft.
Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte gewährte Vorsorgemaßnahmen für viele der aus politischen Gründen Inhaftierten. Das Gericht wies Nicaragua an, “die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihr Leben, ihre Unversehrtheit, ihre Gesundheit, ihre angemessene Ernährung, ihren Zugang zu Trinkwasser und ihre persönliche Freiheit wirksam zu schützen”. Es gab zahlreiche Berichte über Gewalt, Folter und andere Misshandlungen in den Gefängnissen, einschließlich physischer und psychischer Misshandlungen durch die Gefängnisbehörden. Die internationale Gemeinschaft, einschließlich der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, erließ Vorsorgemaßnahmen zum Schutz mehrerer Gefangener, doch die Bedingungen in den Haftanstalten blieben weiterhin katastrophal.
Freiheit der Meinungsäußerung
Die Behörden setzten weiterhin Maßnahmen um, um unabhängige Medien zum Schweigen zu bringen, wodurch ein Informationsvakuum entstand und der Zugang zu unabhängigen Nachrichten und Informationen für Nicaraguaner*innen erschwert wurde. Zwischen 2018 und 2024 waren mindestens 276 Journalist*innen gezwungen, aus dem Land zu fliehen, wie aus einem im September veröffentlichten Bericht der PCIN (Periodistas y Comunicadores de Nicaragua – Organisation der unabhängigen Journalisten und Medienschaffenden) hervorgeht. Die Regierung beschlagnahmte das Vermögen von Medienunternehmen, was zu einer weiteren Unterdrückung von abweichenden Meinungen führte. Zwischen 2018 und Juni 2024 wurde das Vermögen von mehr als 50 Medienunternehmen beschlagnahmt. Die Regierung führte auch Gesetze zur Kontrolle von Online-Inhalten ein, indem sie Telekommunikationsunternehmen zur Bereitstellung von Nutzer*innendaten verpflichtete und die zulässigen Inhalte bei künstlerischen Veranstaltungen einschränkte.
Im Juli legte die Interamerikanische Menschenrechtskommission dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte den Fall 14.746 vor, in dem es um die außergerichtliche Tötung des Journalisten Ángel Eduardo Gahona López durch Staatsbedienstete geht. In diesem Fall herrschte weiterhin Straflosigkeit.
Lokale Organisationen berichteten über das gewaltsame Verschwinden von mindestens einer Journalistin, die in ihrer letzten öffentlichen Mitteilung berichtete, dass ihr Haus durchsucht wurde.
Rechte Indigener Völker
Indigene Völker wurden weiterhin von bewaffneten regierungsnahen Gruppen und Siedler*innen vertrieben und angegriffen. Nach Angaben der Organisation Observatorio de Derechos Humanos de la Coalición Nicaragua Lucha wurden zahlreiche Übergriffe auf Indigene Menschenrechtsverteidiger*innen gemeldet, darunter willkürliche Inhaftierungen, gewaltsames Verschwindenlassen und Vertreibungen in Gebieten wie dem Biosphärenreservat Bosawás.
Im März wurden die Regionalwahlen an der Karibikküste Nicaraguas zum ersten Mal seit Jahren ohne Beteiligung Indigener politischer Parteien abgehalten. Der Ausschluss der politischen Partei Yapti Tasba Masraka Nanih Asla Takanka (YATAMA) folgte auf die Annullierung ihres Rechtsstatus im September 2023 und die Inhaftierung ihrer Sprecher*innen Brooklyn Rivera und Nancy Elizabeth Henríquez, die später wegen Verrats und Verschwörung angeklagt wurden. Bis Ende des Jahres war der Aufenthaltsort von Brooklyn Rivera von den Behörden nicht bekannt gegeben worden. Amnesty International erklärte ihn im Dezember zum gewaltlosen politischen Gefangenen.[1]
Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte gegen Nicaragua. Er betonte Verletzungen der Rechte Indigener Völker, darunter Zwangsumsiedlungen und fehlende Konsultationen bei Projekten wie dem interozeanischen Kanal, und bekräftigte die Notwendigkeit, Indigene Gebiete zu schützen. Die Förster*innen der Mayagna, die das Biosphärenreservat Bosawás verteidigen, blieben aufgrund zweifelhafter Anschuldigungen weiterhin inhaftiert, was die erhöhten Risiken für Indigene Völker widerspiegelt.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Schwangerschaftsabbruch blieb unter allen Umständen verboten.
[1] “Nicaragua: Ortega’s repressive machinery continues to stifle any dissent”, 17 December