Serbien

Republik Serbien

Berichtszeitraum 1.1.2024 – 31.12.2024
Englischer Originaltext Serbia

Demonstranten und Journalisten wurden eingeschüchtert, schikaniert und verfolgt, weil sie sich friedlich für Themen von öffentlichem Interesse eingesetzt hatten. Es wurden keine glaubwürdigen Anstrengungen unternommen, Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen; stattdessen konzentrierte sich die serbische Regierung darauf, eine UN-Resolution zum Völkermord in Srebrenica aufzuweichen. Diskriminierung, insbesondere von Rom*nja, der LGBTI+, von Flüchtlingen und Migrant*innen war weiterhin besorgniserregend. Die Zahl von Flüchtlingen und Migrant*innen auf der Durchreise durch Serbien ist zwar zurückgegangen, aber sie waren weiterhin betroffen von Misshandlungen und Gewalt an den Grenzen.

Hintergrund

Die Umsetzung der von der EU vermittelten Vereinbarung zwischen Serbien und Kosovo zur Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern ist nicht weiter vorangekommen. Im Juli annullierte das Verfassungsgericht das Regierungsdekret von 2022, das die Eröffnung einer Lithium- und Bor-Mine im Jadar-Tal blockiert hatte. Dadurch wurden landesweit Massenproteste ausgelöst. Kurz darauf verabschiedete die Regierung ein neues Dekret, das jetzt das Ausbeutungsvorhaben genehmigte. Ebenfalls im Juli einigten sich Serbien und die EU auf eine Absichtserklärung und eine strategische Partnerschaft zu nachhaltigen Rohstoffen. Zehntausende Menschen demonstrierten monatelang gegen den Abbau von Lithium und begründeten dies damit, dass dieser die Umwelt irreversibel schädigt.

Meinungsfreiheit

Investigative Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen wurden weiterhin von regierungsnahen Medien angegriffen und strategischen Gerichtsprozessen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPPs) unterworfen. Im Juli nannte ein von vielen Menschen gesehener regierungsnaher Fernsehsender die Namen von 40 Organisationen der Zivilgesellschaft und beschuldigte sie, auf Geheiß ausländischer Regierungen einen “Spezialkrieg gegen Serbien“ zu führen. In der Fernsehsendung wurden detaillierte Aufstellungen der Finanzen dieser Organisationen gezeigt, zusammen mit den Namen der Mitarbeitenden, Bankdaten und Transaktionen, die sonst nicht öffentlich zugänglich waren. Um abweichende Meinungen zu unterdrücken, forderten hochrangige Regierungsvertreter*innen wiederholt die Einführung eines „Gesetzes über ausländische Agenten“. Die Vereinigung unabhängiger Journalist*innen Serbiens berichtete von über 150 Drohungen und Angriffen gegen Journalisten im Laufe des Jahres. Das Berichts-Netzwerk über Verbrechen und Korruption allein wurde 16-mal wegen seiner investigativen Berichterstattung mit schikanösen Gerichtsprozessen überzogen.

Im März stellte der UN-Menschenrechtsausschuss fest, dass diskriminierende Äußerungen gegen Journalisten in Online- und traditionellen Medien, bei Politikern und hochrangigen Amtspersonen weit verbreitet sind.

Versammlungsfreiheit

Demonstrationen, insbesondere Umweltproteste, wurden von der Polizei stark überwacht und die Teilnehmenden exzessiver Gewalt und willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt. Mindestens 33 Aktivisten in 17 Städten in ganz Serbien wurden nach den Protesten gegen den Abbau von Lithium festgenommen. Viele von ihnen wurden aufgrund von Beiträgen in den Sozialen Medien oder nur, weil sie an friedlichen Protesten teilgenommen hatten, verhaftet oder verhört.  Einige der Verhafteten wurden anschließend mit unverhältnismäßigen Anklagen überzogen, beispielsweise wegen “Aufstachelung zum gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung“ und wurden intensiv verhört, ihre Wohnungen wurden durchsucht und Telefone und Computer beschlagnahmt.

Im Dezember fand Amnesty International Beweise, dass rechtswidrige Spionageprogramme und andere invasive digitale forensische Techniken gegen Aktivist*innen und unabhängige Journalist*innen durch die Behörden weit verbreitet sind. [1] Nach der Veröffentlichung des Berichtes erstatteten lokale Organisationen der Zivilgesellschaft wegen des Einsatzes der Spionagesoftware und dem unerlaubten Zugriff auf persönliche Daten gegen die Polizei und den serbischen Geheimdienst Strafanzeige.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung

Serbien hat energisch gegen die Verabschiedung der Resolution der UN-Generalversammlung protestiert, den 11. Juli als offiziellen Internationalen Tag des Gedenkens an den Genozid 1995 in Srebrenica zu begehen. [2] Mehr als 1700 Fälle von Kriegsverbrechen sind bisher in Serbien nicht untersucht worden.

Der Prozess gegen sieben bosnisch-serbische Ex-Polizisten wegen des Massakers an 1.313 Bosniern aus Srebrenica im Juli 1995 in der Landwirtschaftskooperative von Kravica verzögerte sich weiter, weil die Anhörungen immer wieder verschoben oder vertagt wurden.

Diskriminierung

Im April stellte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates in ihrem regelmäßigen Bericht fest, dass Vorurteile gegen LGBTI+, Rom*nja, Flüchtlinge und Migranten in Serbien weit verbreitet sind, am sichtbarsten in Hassrede im Internet. Im Dezember berichtete der Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nation UNHCR, dass die Mehrheit der Flüchtlinge und Migranten auf Durchreise durch Serbien aus der Region Nahost/Nordafrika und aus Afghanistan kamen.

Rom*nja

Im März stellte der UN-Menschenrechtsausschuss fest, dass Rom*nja, insbesondere Binnenvertriebene in informellen Siedlungen, nach wie vor in hohem Maße von Armut und Ausgrenzung betroffen waren und nur begrenzten Zugang zu Bildung, Beschäftigung und Gesundheitsversorgung, sowie zu Basisleistungen wie Strom, Trinkwasser und Hygiene hatten.

ECRI rief die serbischen Behörden dazu auf, die Gewährung von Sozialhilfe über das Gesetz über Sozialkarten zu überprüfen, um sicherzustellen, dass Rom*nja und andere benachteiligte Gruppen gleichberechtigten Zugang zu staatlicher Unterstützung haben. Das Gesetz über die Sozialkarten wurde weiterhin umgesetzt, ohne dass seine Auswirkungen für die Menschenrechte dieser Personen gebührend berücksichtigt wurden.

LGBTI+

Es gab nach wie vor kein Gesetz über die rechtliche Anerkennung des Geschlechts, das auf dem Selbstbestimmungsrecht im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards beruht. Transgeschlechtliche Menschen mussten sich weiterhin einer zwangsweisen einjährigen Hormonbehandlung als Voraussetzung für die rechtliche Geschlechtsanerkennung unterziehen.

Im Februar wurden ein schwuler Mann und sein Mitbewohner von einer Gruppe von mehr als zehn Polizisten, die in seine Wohnung in der Hauptstadt Belgrad eingedrungen und sie durchsucht hatten, physisch, psychologisch und sexuell misshandelt. Bis Ende des Jahres hatte keine glaubwürdige Untersuchung des Vorfalls stattgefunden.

Im Januar hat das Komitee des Europarates zur Verhütung von Folter die serbischen Behörden aufgefordert, eine kohärente Strategie zur Abschaffung von Misshandlungen durch die Polizei zu verabschieden und umzusetzen und solche Fälle wirksam zu untersuchen.

Im September fand der jährliche Belgrade Pride-Marsch ohne homophobe Zwischenfälle und unter Beteiligung von drei Ministern der Regierung statt.

Willkürliche Inhaftierung

Im Juli wurde Ecevit Piroğlu, ein politischer Aktivist aus der Türkei, der seit Juni 2021 willkürlich inhaftiert war, freigelassen und verließ das Land. [3]

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Im Vergleich zu 2023 ist die Zahl von neu ankommenden Flüchtlingen und Migranten um bis zu 80% zurückgegangen. Das hat das Kommissariat für Flüchtlinge und Migration veranlasst, mehrere Aufnahmezentren des Landes zu schließen. Flüchtlinge und Migranten ohne Zugang zu einer Unterkunft waren vermehrt Missbrauch und Gewalt ausgesetzt. Dazu gehörten auch unrechtmäßige Rückführungen im Schnellverfahren.

[1] Serbia: “A Digital Prison”: Surveillance and the suppression of civil society in Serbia,16 December

[2] “Bosnia and Herzegovina: Srebrenica resolution an important recognition for victims and their families”, 23 May

[3] Serbia: Political activist on hunger strike: Ecevit Piroğlu, 13 May

4. Juni 2025