Vereinigtes Königreich

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland

Berichtszeitraum 1.1.2024 – 31.12.2024
Englischer Originaltext United Kingdom

Es wurde neue Gesetzestexte verabschiedet, um bestehende Gerichtsurteile in Bezug auf die Menschenrechte nichtig zu machen und um die zwangsweise Abschiebung von Asylbewerber*innen nach Ruanda zu ermöglichen. Während des Großteils des Jahres wurden Waffentransfers nach Israel aufrechterhalten, bevor sie von der neuen Regierung teilweise ausgesetzt wurden. Öffentliche Behörden ergriffen eine Reihe von Maßnahmen, die im Bezug auf Proteste und Meinungsäußerungen im Zusammenhang mit dem Gazastreifen und Palästina abschreckend wirkten. Friedliche Umweltdemonstrant*innen wurden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Kinder aus schwarzen und ethnischen Minderheiten waren unverhältnismäßig stark von der hohen Kinderarmut betroffen.

Hintergrund

Im Juli wurde nach einer Parlamentswahl die seit 14 Jahren regierende Konservative Partei durch eine Labour Party Regierung ersetzt. Infolgedessen wurden einige Maßnahmen, die eine ernsthafte Bedrohung der Menschenrechte darstellten, fallengelassen oder geändert. Im August kam es in Städten in ganz England und Nordirland zu Tagen rassistischer Gewalt. Dies geschah vor dem Hintergrund einer anhaltenden Rhetorik gegen Asylsuchende von Persönlichkeiten aus Politik und Medien. Zusätzlich brach durch die Umsetzung staatlicher Maßnahmen das Asylverfahren zusammen und beschädigte den sozialen Zusammenhalt. Die Gewalt wurde durch Fehlinformationen, diskriminierende Rede und Befürwortung von Hass in den sozialen Medien ausgelöst, nachdem in der Stadt Southport drei Kinder von einem Angreifer getötet wurden, der fälschlicherweise als Asylbewerber und Muslim identifiziert wurde.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Im April wurde das Gesetz über die Sicherheit Ruandas in Kraft gesetzt. Damit sollte ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2023 aufgehoben werden, welches feststellte, dass Ruanda kein sicheres Land ist, um Asylsuchende zu entsenden und dort Asylverfahren durchzuführen. Das Gesetz setzt ein breites Spektrum von Schutzrechten aus oder außer Kraft. Es ermöglicht die im „Gesetz zur illegalen Migration“  von 2023 definierte Politik der Verweigerung der Bearbeitung von im Vereinigten Königreich gestellten Asylanträgen. Nach dem Regierungswechsel wurde jedoch das System zur Ermöglichung der erzwungenen Abschiebung von Asylbewerbern nach Ruanda abgeschafft und es wurden Vorschriften erlassen, mit denen die Wirkung des Gesetzes über die illegale Migration ausgesetzt wurde. Die neue Regierung kündigte ihre Absicht an, den Rückstau von Asylanträgen zu beseitigen, der sich im Rahmen der vorherigen Politik aufgebaut hatte, und kündigte auch die Stilllegung eines ehemaligen Gefängnisschiffs und eines ehemaligen Luftwaffenstützpunkts als Unterkunft für Asylsuchende an.

Die neue Regierung verpflichtete sich zur Aufhebung des Gesetzes über die Sicherheit Ruandas und kündigte Pläne zur Einführung eines neuen Gesetzes zu Grenzsicherheit, Asyl und Einwanderung an. Die Einzelheiten dieses Gesetzes waren zum Jahresende nicht öffentlich zugänglich, aber die Regierung wies darauf hin, dass sie das gleiche Ziel wie die vorherige Regierung verfolgen werde, Menschen davon abzuhalten, Asyl im Vereinigten Königreich zu beantragen, Kapazitäten für Migrationshaft zu erhöhen und die Abschiebung von Menschen aus dem Vereinigten Königreich zu beschleunigen.

Im September wurde ein interner Bericht des Innenministeriums über die Wurzeln des sogenannten Windrush-Skandals veröffentlicht. Der Bericht bestätigt den Rassismus, der im Mittelpunkt der Regierungspolitik und der Gesetze steht, die das Parlament über mehrere Jahrzehnte hinweg verabschiedet hat, um „die Zahl der Menschen mit schwarzer oder brauner Haut“ zu verringern, die im Vereinigten Königreich leben dürfen. Dies führte dazu, dass viele schwarze und asiatische Briten ihrer britischen Staatsbürgerschaft beraubt wurden und so später der Einwanderungspolitik wie zum Beispiel einer erzwungenen Abschiebung ausgesetzt waren, vor der sie hätten immun sein sollen, sich aber nicht schützen konnten.

Im Oktober wurde angekündigt, dass die neue Regierung die Politik der vorherigen Regierung zur schrittweisen Abschaffung der physischen Dokumente über den Einwanderungsstatus fortsetzen wird, die durch rein digitale „e-Visa“ ersetzt werden sollen. Es bestanden ernsthafte Bedenken, dass diese Politik ausschließend wäre und die Kontrolle über den Nachweis des rechtmäßigen Aufenthaltsstatus einer Person sowie des Rechts auf Dienstleistungen von der Person an das Innenministerium übertragen würde.

Unverantwortliche Waffentransfers

In der ersten Hälfte des Jahres weigerte sich die damalige Regierung, die Ausfuhrgenehmigungen für Waffen und andere militärische Ausrüstung nach Israel auszusetzen, auch für Ausrüstung, die im Gaza-Konflikt verwendet wird. Im Juni forderten UN-Sonderexpert*innen die Staaten auf, alle Transfers militärischer Ausrüstung nach Israel zu beenden, um das Risiko der Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Im September setzte die neue Regierung die Ausfuhrgenehmigungen teilweise aus und verwies auf das „eindeutige Risiko“ von Verstößen des israelischen Militärs gegen das humanitäre Völkerrecht. Der britische Beitrag zum F-35-Kampfjet, einem entscheidenden Element der israelischen Militärtätigkeit, wurde jedoch von dieser Aussetzung ausgeschlossen. Zum Jahresende wurde eine gerichtliche Überprüfung der Politik der Regierung des Vereinigten Königreichs in Bezug auf Waffenausfuhrgenehmigungen durchgeführt.

Freiheit der friedlichen Versammlung

Große und regelmäßige Straßenproteste wurden in der Hauptstadt London fortgesetzt, welche nach den von der Hamas angeführten Angriffen in Israel im Oktober 2023 und der anschließenden militärischen Reaktion Israels ein Waffenstillstand forderten. Diese Proteste waren einigen Einschränkungen unterworfen, aber die Polizei erlaubte die Durchführung, trotz des erheblichen politischen Drucks, sie zu verbieten.

Im Mai wurden von der Regierung erlassene Verordnungen, welche der Polizei erweiterte Befugnisse zur Verhängung von Beschränkungen für Proteste wegen „schwerwiegender Störungen“ übertrugen, von einem Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt. Die Berufung der neuen Regierung gegen diese Entscheidung wurde im Dezember verhandelt.

Friedliche Proteste von Umweltdemonstrant*innen, die als „schwerwiegend störend“ oder als „öffentliche Belästigung“ eingestuft werden, sowie Handlungen, die möglicherweise einer „Verachtung des Gerichts“ gleichkommen, oder Proteste mit „kriminellen Schäden“ darstellen, führten regelmäßig zu Inhaftierungen. In einigen Fällen beinhaltete dies sehr lange Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.

Meinungsfreiheit

Im Laufe des Jahres wurden die Untersuchungen zu Art und Umfang der Überwachungstätigkeiten des Polizeidienstes Nordirlands (PSNI) in Bezug auf Journalist*innen fortgesetzt. Im Dezember entschied das Investigatory Powers Tribunal, dass die PSNI und die Metropolitan Police in London zwei Journalist*innen in den Jahren 2012 und 2013 unrechtmäßig überwacht hatten. Im Juni wurde eine unabhängige anwaltliche Überprüfung des Problems eingeleitet.

Während des ganzen Jahres haben sich die Regierung und andere Behörden an einer Reihe von Aktionen beteiligt, die das Recht auf freie Meinungsäußerung unangemessen eingeschränkt haben und eine abschreckende Wirkung auf Äußerungen im Zusammenhang mit Gaza und Palästina hatten. Dazu gehörten der Einsatz des viel kritisierten Anti-Terror-Programms, die Annullierung von Visas und die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen Einzelpersonen, mit besonders schädlichen Auswirkungen auf muslimische und rassifizierte Schulkinder und Jugendliche.

Im März veröffentlichte die Regierung eine überarbeitete Definition des Begriffs „Extremismus“, die von öffentlichen Stellen verwendet werden muss, um Einzelpersonen und Gruppen als „Extremisten“ zu bewerten, um sie in der Folge von öffentlichen Mitteln, Plattformen und anderen Formen der „Legitimität“ auszuschließen.

Im Mai wurde der Gesetzentwurf über die wirtschaftliche Tätigkeit öffentlicher Körperschaften (Überseeangelegenheiten) nicht in Kraft gesetzt, als das Parlament aufgrund der Einberufung der Parlamentswahlen aufgelöst wurde. Der Gesetzentwurf, der es für öffentliche Stellen potenziell rechtswidrig gemacht hätte, Menschenrechte und ethische Fragen in Entscheidungen über die Beschaffung oder ihre Investition von Geldern widerzuspiegeln, hätte Aufrufe zu Boykott, Desinvestition und Sanktionen erstickt.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Im Januar reichte die irische Regierung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein zwischenstaatliches Verfahren gegen die britische Regierung wegen des Northern Ireland Legacy Act ein. Im Februar und September ergingen zwei Urteile des Belfast High Court und des Northern Ireland Court of Appeal, in denen der Rechtsakt als unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und als Verstoß gegen das Windsor-Rahmenabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU eingestuft wurde. Zu den Feststellungen gehörte, dass die Bestimmungen über die Immunität von der Strafverfolgung mit den Artikeln 2 und 3 EMRK und Artikel 2 des Windsor-Rahmens unvereinbar seien und daher nicht angewandt werden sollten. Die mit dem Rechtsakt eingerichtete Unabhängige Kommission für Aussöhnung und Informationsbeschaffung wurde in Bezug auf die Beteiligung und Offenlegung von Beweismitteln für rechtswidrig befunden. Die britische Regierung verpflichtete sich, einige, aber nicht alle Elemente des Legacy Act aufzuheben, und signalisierte, dass sie vor dem Obersten Gerichtshof Berufung einlegen wollte.

Rechte von LGBTI-Personen

Das ganze Jahr über herrschte in Medien und Politik ein extrem feindseliges Klima gegen Transpersonen. Berichten zufolge ist die Zahl der Hassverbrechen gegen LGBTI-Personen gestiegen. Die Regierung gab den Schulen Leitlinien an die Hand, „Geschlechtsidentität“ während der Sexual- und Beziehungserziehung nicht zu diskutieren. Im November hörte der Oberste Gerichtshof eine Anfechtung durch eine geschlechterkritische Gruppe, welche Transgender-Personen mit der im Vereinigten Königreich möglichen Form der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts vom Schutz vor Geschlechtsdiskriminierung aufgrund ihres rechtlichen Geschlechts ausschließen wollte. Ein Urteil war bis Jahresende nicht ergangen.

Im September wurde der Vorschlag der schottischen Regierung, ein umfassendes Verbot von Konversionspraktiken einzuführen, verzögert. Die schottische Regierung erklärte, sie würde stattdessen auf die Einführung eines Gesetzes durch die britische Regierung warten. Die vorherige britische Regierung hatte kein Verbot von Konversionstherapien erlassen, da der Gesetzentwurf wegen der Debatte über die Einbeziehung von Transpersonen aufgehalten wurde. Die neue Regierung verpflichtete sich, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der ein vollständiges Verbot der Konversionstherapie beinhaltet mit dem Ziel die Grundlage für weitere Konsultationen zu bilden.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Während der COP29 im November verpflichtete sich die neue Regierung, die Treibhausgasemissionen bis 2035 um mindestens 81 % zu senken, was einem Anstieg gegenüber den von der vorherigen Regierung zugesagten 78 % entspricht. Die neue Regierung hielt an der Zusage der vorherigen Regierung fest, bis März 2026 Klimafinanzierung in Höhe von 11,6 Mrd. GBP bereitzustellen, eine Position, die vom Climate Action Tracker als „sehr unzureichend“ eingestuft wurde.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Im Januar kritisierte der Kinderkommissar für Wales den Plan der walisischen Regierung zur Bekämpfung der Kinderarmut. Im März veröffentlichte Statistiken der britischen Regierung ergaben, dass im gesamten Vereinigten Königreich 4,3 Millionen Kinder in Armut leben. Die Statistiken zeigen, dass Kinder mit schwarzem und ethnischem Minderheitenhintergrund unverhältnismäßig stark betroffen sind, von denen 47% in Armut lebten, verglichen mit 24% der weißen Kinder.

Im Oktober zeigten jährliche Regierungsdaten, dass die Obdachlosigkeit in England in einem Jahr um 12,3% gestiegen ist. Die Obdachlosigkeit auf der Straße, die als „Landstreicherei“ bezeichnet wird, unterliegt weiterhin dem Strafrecht.

Im Februar hob eine Koalition zivilgesellschaftlicher Gruppen, darunter Amnesty International, die Unzulänglichkeit der Standard-Sozialversicherungszulage hervor, die geringer war als die Kosten für Grundbedürfnisse für eine einzelne Person.

Im März berichtete der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, dass das Vereinigte Königreich seinen Verpflichtungen in zahlreichen Artikeln der Konvention nicht nachgekommen sei.

Im September ließ die schottische Regierung die Pläne zur Einführung eines Menschenrechtsgesetzes fallen, welches den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, ICESCR, Sozialpakt) und andere internationale Menschenrechtskonventionen in schottisches Recht aufgenommen hätte.

Diskriminierung

Im August empfahl der Ausschuss gegen Rassendiskriminierung, CERD der Vereinten Nationen unter anderem Reformen der Einwanderungsgesetzgebung, die Aussetzung der Prevent Strategie zur Terrorismusbekämpfung und ein Ende der polizeilichen Durchsuchungen von Kindern welche das Ausziehen der Kleidung beinhaltet (strip search).[1]

Sexuelle und reproduktive Rechte

In Nordirland gab es trotz Entkriminalisierung erhebliche Hindernisse beim Zugang zu Abtreibungsbehandlungen, einschließlich eines Mangels an Früherkennung für fetale Beeinträchtigungen.

In England und Wales gab es eine Zunahme der Ermittlungen und Strafverfolgungen von Frauen, die beschuldigt wurden, illegal abgetrieben zu haben. Eine Reihe von Prozessen war für 2025 geplant.

Im September führte die schottische Regierung „sichere Zugangszonen“ rund um Krankenhäuser und Kliniken ein, die Abtreibungsdienste anbieten. Ein ähnliches Gesetz trat im Oktober in England und Wales in Kraft.

[1] UK: Submission to the Committee on the Elimination of Racial Discrimination, 1 August

2. Juni 2025