Zentralafrikanische Republik
Berichtszeitraum | 1.1.2024 – 31.12.2024 |
Englischer Originaltext | Central African Republic |
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Zentralafrikanische Republik
Bewaffnete Gruppen und Regierungstruppen verübten weiterhin rechtswidrige Angriffe und Tötungen. Die Zahl der Fälle von konfliktbedingter sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ist erheblich gestiegen. Bei der Bekämpfung der Straflosigkeit gab es Fortschritte, die durch einen veröffentlichten Haftbefehl gegen den ehemaligen Präsidenten und die Verhaftung von zwei Männern, denen Verbrechen nach internationalem Recht vorgeworfen werden, deutlich wurden. Ein UN-Bericht deckte schlechte Haftbedingungen auf. Mehr als 2,5 Millionen Menschen waren von Ernährungsunsicherheit betroffen.
Hintergrund
Die Zusammenstöße zwischen den Regierungstruppen, die von ihren Verbündeten unterstützt werden, und bewaffneten Gruppen, die mit der Koalition der Patrioten für den Wandel (Coalition the of Patriots for Change) verbunden sind, hielten an und führten zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung. Am 30. Juli hob der UN-Sicherheitsrat das seit 2013 geltende Waffenembargo auf. Am 31. August waren 455.533 Menschen innerhalb des Landes vertrieben. Inzwischen beherbergte das Land 43.393 Flüchtlinge, darunter 29.070 aus dem Sudan.
Ungesetzliche Angriffe und Tötungen
Laut einem Bericht der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in der Zentralafrikanischen Republik (Multidimensional Integrated Stabilization Mission in the Central African Republic – MINUSCA), der sich auf das zweite Quartal 2024 bezieht, haben bewaffnete Gruppen und Regierungstruppen, die von ihren Verbündeten unterstützt werden, weiterhin rechtswidrige Angriffe und Tötungen verübt.
Die MINUSCA berichtete, dass die bewaffnete Gruppe Azande Ani Kpi Gbe am 19. Februar in der Region Haut-Mbomou einen zivilen Lastwagen in Kere überfiel, vier der 20 Insass*innen tötete und eine Frau entführte. Am 22. und 23. Februar kam es in Kitessa, Maboussou und Manza zu Zusammenstößen zwischen dieser Gruppe und einer anderen bewaffneten Gruppe, der Einheit für den Frieden in Zentralafrika (UPC), bei denen 10 Menschen getötet und ein Teil der Bevölkerung nach Zémio vertrieben wurde. Am 27. Februar führten die nationalen Verteidigungskräfte und andere Sicherheitskräfte eine Operation gegen die Anführer*innen der bewaffneten Anti-Balaka-Gruppe in der Bergbaustätte Willy, 35 km südwestlich von Bossangoa in der Region Ouham im Westen des Landes, durch. Lokalen Quellen zufolge wurden dabei vier Zivilist*innen getötet und mehrere andere verletzt. Am 29. März griffen mutmaßliche Mitglieder der Volksfront für die Wiedergeburt der Zentralafrikanischen Republik und UPC-Kämpfer den Markt in Ouogo, 63 km nordwestlich von Batangafo, an und verletzten sechs Zivilist*innen.
Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt
Laut OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) kam es zu einem sprunghaften Anstieg von Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, die noch verschärft wurden durch den Konflikt und „durch soziokulturelle Normen, die für Frauen und Mädchen ungünstig sind, trotz der Existenz einschlägiger politischer Maßnahmen und Gesetze“, die einen gewissen Schutz bieten könnten, wenn sie umgesetzt würden,. In der ersten Jahreshälfte wurden mehr als 11.000 Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt gemeldet. Mehr als 6.000 dieser Fälle wurden allein im zweiten Quartal gemeldet. 96 Prozent der Opfer waren Frauen oder Mädchen, und 32 Prozent davon waren Vergewaltigungen, das am häufigsten gemeldete Verbrechen. Nach Angaben des Informationssystems für geschlechtsspezifische Gewalt erhielten zwischen Januar und September alle identifizierten Überlebenden geschlechtsspezifischer Gewalt psychosoziale Unterstützung, während 82 Prozent medizinische Hilfe erhielten – nur 28 Prozent davon innerhalb des kritischen Zeitfensters von 72 Stunden; 11 Prozent erhielten juristische oder gerichtliche Unterstützung, und nur 6 Prozent wurden mit Maßnahmen zur wirtschaftlichen Wiedereingliederung unterstützt.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Am 1. Mai erließ der Sonderstrafgerichtshof (SCC), ein von den Vereinten Nationen unterstütztes hybrides Gericht, einen internationalen Haftbefehl gegen den ehemaligen Präsidenten François Bozizé wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit Aktionen seiner Präsidentengarde zwischen 2009 und 2013. Das Gericht forderte Guinea-Bissau, wo François Bozizé im Exil lebte, zur Zusammenarbeit bei seiner Festnahme auf. Am 8. Mai kündigte der Präsident von Guinea-Bissau seine Absicht an, das Ersuchen zu ignorieren.
Am 21. Juni gab der Oberste Rat die Festnahme von Edmond Beina bekannt, einem Verdächtigen im Fall „Guen“, bei dem es um Verbrechen geht, die 2014 in der Region Mambéré begangen wurden. Ihm wurden mehrere Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, darunter Mord und Ausrottung, zur Last gelegt. Abakar Zakaria Hamid, auch bekannt als „SG“, wurde am 4. September verhaftet und erschien vor den Ermittlungsrichtern des SCC. Gegen ihn wurden mehrere Anklagen erhoben, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Ausrottung, Verfolgung und Verschwindenlassen.
Am 13. Dezember verkündete der Oberste Gerichtshof sein Urteil in dem als „Ndélé 1“ bekannten Fall, in dem die vier Angeklagten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden, die während der Vorfälle in der Stadt Ndélé im Jahr 2020 begangen wurden. Am selben Tag kündigte der Verteidiger seine Entscheidung an, in Berufung zu gehen.
Am 3. Mai schloss die Gendarmerie vorübergehend die Kommission für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Versöhnung, ohne eine offizielle Dokumentation vorzulegen. Sie war 2020 eingerichtet worden, um „die schwerwiegenden nationalen Ereignisse, die sich seit dem 29. März 1959, also seit 60 Jahren der turbulenten Geschichte der Zentralafrikanischen Republik, ereignet haben, zu untersuchen, die Wahrheit festzustellen und die Verantwortung dafür zuzuweisen“. Die Mitarbeiter wurden angewiesen, das Gebäude zu verlassen, und am 7. Mai wurden die Mitglieder der Kommission per Regierungsdekret unter Hinweis auf interne Konflikte und schlechtes Management entlassen. Es wurde ein Ausschuss zur Ernennung neuer Mitglieder eingesetzt.
Unmenschliche Haftbedingungen
Im Juli deckte ein Bericht der MINUSCA alarmierende Haftbedingungen auf, in dem die schlechte Gesundheitsversorgung und Hygiene sowie die schwere Unterernährung der Gefangenen hervorgehoben wurden, eine Situation, die durch unzureichende Nahrungsmittelbudgets und eine lange Haftdauer noch verschärft wurde. In dem Bericht wurde auch auf die Misshandlung mehrerer Gefangener hingewiesen und festgestellt, dass die Regierung auf diese Probleme nicht reagiert hat. Der Bericht listet zahlreiche weitere Mängel auf, darunter die Nichteinhaltung der gesetzlichen Haftfristen und die übermäßige Anwendungder Untersuchungshaft.
Recht auf Nahrung
Nach Angaben des Clusters für Ernährungssicherheit (Food Security Cluster), einer von den Vereinten Nationen geleiteten Organisation, waren im November mehr als 2,5 Millionen Menschen von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen, 307.000 von einer Notsituation. In Regionen wie Mbomou und Haute-Kotto lebten mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in einer Not- oder Krisensituation hinsichtlich der Ernährungsversorgung. Dies betraf vor allem Binnenvertriebene, Menschen in abgelegenen Gebieten und arme städtische Haushalte, deren Zugang zu Nahrungsmitteln durch steigende Preise, Konflikte und schlechte Infrastruktur erschwert war.